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Berufliche Bildung auf zukunftsfähige Beine stellen
So, 15.5.22

Berufliche Bildung auf zukunftsfähige Beine stellen

DIESER ANTRAG WURDE VON DER LANDESMITGLIEDERVERSAMMLUNG AM 15. MAI 2022 IN MARKELFINGEN BESCHLOSSEN.

0. Einleitung

Seit 2021 haben wir ein grün-geführtes Kultusministerium, welches nun vor vielen langjährigen Baustellen steht und vor der Herausforderung, einen Flickenteppich an Schularten- und Einrichtungen auf zukunftsfähige Beine zu stellen. Mit diesem Text möchten wir als Grüne Jugend Baden-Württemberg auf eine Schulart aufmerksam machen, die auch im politischen Raum oft zweitrangig behandelt wird: Die beruflichen Schulen. Wir fokussieren uns auf sechs Bereiche:
Unterrichtsqualität; Infrastruktur und Ausstattung; Zusammenspiel mit Entwicklungen im Ausbildungsbereich; Demokratie und politische Bildung; Bildung für nachhaltige Entwicklung; und Inklusion. Dabei schauen wir vor allem auf nicht allgemeinbildende berufliche Schulen, also Berufsschulen, Berufsfachschulen, Fachschulen und Berufskollegs.

Es ist uns wichtig, hierbei die drängenden Punkte anzuschauen, auf die wir mit dem grünen Ministerium einen maßgeblichen Einfluss haben. Den Schulen kommt in der dualen Ausbildung nämlich eine außergewöhnliche Rolle zu. Sie vermitteln nicht nur Wissen, sondern bilden auch Multiplikator*innen aus, die dieses Wissen in die Betriebe tragen. Sie sind Rückzugsorte in der Ausbildung und sollten Menschen, die im und außerhalb des Betriebes Probleme haben, eine Anlaufstelle bieten. Sie sind Schnittstellen zu akademischen Laufbahnen (Fachhochschulreife), bieten Aufstiegsmöglichkeiten (Techniker, Meister, ...) und bilden die Fachkräfte für eine funktionierende Gesellschaft aus. Durch unsere Ideen und Perspektiven möchten wir hier dazu beitragen, berufliche Schulen auf zukunftsfähige Beine zu stellen.

1. Unterrichtsqualität erhöhen (vorausschauende Fachkräftestrategie, Lehrkräfteentwicklung)

1.1. Kontext

In den beruflichen Schulen in BW herrscht dringender Lehrkräftemangel. Im Jahr 2021 standen “für die Einstellungsrunde insgesamt 1.190 Deputate zur Verfügung – davon 1.014 für Wissenschaftliche Lehrkräfte und 176 für Technische Lehrkräfte. (...) Rund 100 Stellen sind derzeit noch nicht besetzt. Im wissenschaftlichen Bereich fehlen unverändert Bewerber*innen. Die Zahl der Neubewerber*innen aus dem Referendariat ist mit 329 gesunken (2020: 340). Auch die Zahl der Altbewerber*innen ist leicht auf 100 zurückgegangen (2020: 105). Vor allem in den allgemeinbildenden Fächern sind die Zahlen zurückgegangen.”

Laut der Modellrechnung von 2019 sollen Ethik-Unterrichtsangebote auch an beruflichen Schulen ausgebaut werden. Insgesamt 660 zusätzliche Stellen sollten laut der Rechnung zwischen 2020 und 2025 an beruflichen Schulen entstehen.

Die Lage der Neubewerbungen an beruflichen Schulen wird wie folgt in der Modellrechnung beschrieben: “Im Lehramt berufliche Schulen macht sich der (...) hohe Sonderbedarf im Jahr 2020 in einem Bewerbermangel von rund 300 Personen bemerkbar. In den Jahren 2021 bis 2026 ergibt sich eine Unterdeckung von bis zu 150 Personen, die weitgehend durch Seiten- und Direkteinsteiger ausgeglichen werden könnte. Ab 2027 ist mit einem höheren Bewerbermangel zu rechnen, der kaum gedeckt werden könnte.”

Die Lehrpläne sind in jeder Art der beruflichen Schule unterschiedlich und deren Analyse sprengt den Rahmen unseres Papiers. Jedoch werden die Kompetenzen, die Lehrkräfte in beruflichen Schulen brauchen, wie folgt vom Kultusministerium beschrieben:

- “Flexibilität in der didaktisch-methodischen Unterrichtsplanung;

- Sensibilität für besondere Situationen und die Fähigkeit, situationsgerecht zu handeln;

- ständige Fortbildung und die Bereitschaft, sich in neue Fachgebiete einzuarbeiten.”

Die folgende Verwaltungsvorschrift “Leitlinien zu Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen” legt die Pflicht zur Fortbildung für Lehrkräfte fest. Dabei muss die Schule in einem jährlichen Fortbildungsplan ihre schulentwicklungsbezogenen Qualifizierungsanforderungen und Qualifizierungsmaßnahmen festlegen. Einen Plicht-Austausch zwischen Lehrkräften und betrieblichen Ausbilder*innen gibt es hier nicht.

1.2. Forderungen

- Zurückgehende Schüler*innenzahlen an beruflichen Schulen dürfen kein Grund für Stellenabbau sein. Im Gegenteil, sie weisen auf die Notwendigkeit hin, die Gleichwertigkeit zwischen Ausbildung und Studium zu verstärken, Ausbildungsplätze durch politisches Handeln in Zukunftsbereichen auszubauen und mehr Ressourcen in pädagogische Strukturen, bspw. durch multiprofessionelle Teams, zu investieren.

- Es braucht zusätzliche Stellen, um u.a. einen zweiten vollständigen Tag an beruflichen Schulen zu ermöglichen, um die Krankheitsvertretung auszubauen, sowie Ethikunterricht zu stärken. Langfristigen Entwicklungen, wie sie in der Modellrechnung aufgezeigt werden, müssen jetzt schon durch verstärktes Anwerben entgegengewirkt werden.

- Lehrkräfte an beruflichen Schulen bringen oft einen betrieblichen Praxishintergrund mit. Das sollte im Kontext der Transformation, in der einige ihre Jobs nicht mehr so ausüben werden können, mitbedacht werden. Es bietet sich an, gezielte Angebote und Kampagnen in Betrieben zu machen, um Menschen als Lehrkräfte an berufliche Schulen für gesellschaftsrelevante Bereiche zu gewinnen.

- Die Lehrkräfteausbildung sollte insofern flexibel gestaltet werden, als dass angehende Lehrkräfte mehr Ressourcen in ihre identifizierte Schwäche (bei Fachleuten meist die Pädagogik - bei Allgemeinbildenden meist die praktische Facherfahrung) investieren können, um ein Ungleichgewicht zu vermeiden.

- Life long learning als Selbstverständnis für Lehrkräfte: Verpflichtende, regelmäßige Fortbildungen in relevanten, zukunftsgewandten Bereichen für Lehrkräfte (z.B. Digitalisierung, Ressourceneffizienz, Stärkung unserer Demokratie, usw.). Diese Bereiche sollte der Landesausschuss für Berufsbildung alle 2 Jahre neu identifizieren.

- Um den Beruf ansprechender zu gestalten, braucht es höhere Gehälter, auch für neue Lehrkräfte. Auch die Arbeitszeit sollte verkürzt (durch die Senkung des Deputats) und die nicht-unterrichtlichen Tätigkeiten vergütet werden können.

- Einsatz von multiprofessionellen Teams (Schulverwaltungsassistenz, Sozialpädagogik usw.) durch zusätzliche Finanzierung vom Land.

- Klassenteiler an beruflichen Schulen von 24 auf 12 senken, um sowohl neue “Pionier”-Ausbildungskurse anzubieten, als auch kleinere Klassen zu ermöglichen.

- Grundsätzliche Überarbeitung der Lehrpläne mit Bezug auf eine Aktualisierung von Fächern wie Wirtschaftskompetenz, deren Fokus immer noch auf unkritischen Wachstumsfantasien liegt, anstatt die Faktoren Mensch, Klima, Biodiversität und Gerechtigkeit miteinzubeziehen. Des Weiteren bleiben berufliche Schulen Orte, die auf das Leben nach der Schule vorbereiten sollen und entsprechende Skills mitgeben sollen (beispielsweise Steuererklärungen ausfüllen, Zeitmanagement usw.).

- Pflicht-Austausche zwischen Lehrkräften und Betrieblichen Ausbilder*innen in die Verwaltungsvorschrift oder eine andere relevante Gesetzgebung zu beruflichen Schulen einführen.

- Einsatz auf Bundesebene für eine Änderung des Berufsbildungsgesetzes, um die Regelungen zur Rückkehr in den Betrieb an Berufsschultagen auszuweiten, sodass auch der zweite Berufsschultag und Tage mit unter 5 Stunden erfasst werden.

- Die Abschlussprüfungen werden bundesweit von über 300.000 ehrenamtlich tätigen Prüfer*innen abgenommen. Aktuell müssen diese nur für die Prüfung selbst, nicht aber für Weiterbildungen freigestellt werden. Prüfer*innen brauchen garantierte Weiterbildungen, für die sie von ihrer Arbeitsstelle freigestellt werden müssen.

2. Infrastruktur an und Ausstattung von
beruflichen Schulen verbessern

2.1. Kontext

Unter Schulinfrastruktur verstehen wir sowohl die Gebäude, in denen gelernt wird, als auch die Glasfaser- und ÖPNV-Anbindung an die Schulen. Unter Ausstattung der beruflichen Schulen verstehen wir die Bereiche Digitalisierung (vorhandene digitale Endgeräte, digitale Lehr- und Lernmaterialien, Software), technische und räumliche Ausstattung der Lehrwerkstätten, sowie Übernachtungsmöglichkeiten bei überregionalen Berufsschulen.

Knapp die Hälfte aller Berufsschüler*innen deutschlandweit bewerten die digitale Ausstattung an Schulen mit 3 oder schlechter. Viele Schüler*innen geben selbst den Impuls, digitale Lernmedien anzuwenden, bevor sich hier etwas tut. Auch Unternehmen sehen große Defizite an beruflichen Schulen. 74% der Unternehmen deutschlandweit wünschen sich das Angebot einer Lernplattform und 64% finden Blended-Learning eine sinnvolle Lehr- und Lernmethode.

Baden-Württemberg arbeitet an einer Cloud Plattform und nutzt aktuell verschiedene Anbieter (z.B. Moodle) für verschiedene Zwecke. Ein breites Bündnis unter dem Verein “Unsere digitale Schule” hat mehrere Thesenpapiere mit Forderungen an das Land bzw. das KM veröffentlicht.

Auch berufliche Schulen sind teils sanierungsbedürftig. Die GEW hat 2017 einige Beispiele von maroden Schulgebäuden beschrieben.

Dem Land liegen keine Informationen zum Ausbaustand bei FTTB/FTTH-Anschlüssen der rund 3.800 Schulen im Land vor. Begründet wird dies damit, dass die Schulträger dafür verantwortlich seien.

Eine Studie aus Niedersachsen, die in vielen Punkten auf Baden-Württemberg übertragen werden kann, beschreibt die oft ungünstige Anbindung sowie die fehlende Attraktivität der vorhandenen Strecken durch seltene Taktung und lange Wartezeiten von beruflichen Schulen. Das Auto ist mehrheitlich schneller und entspannter als jede Alternative und insbesondere ländlichere Regionen werden wenig berücksichtigt bei der ÖPNV-Anbindung von Schulen.

2.2. Forderungen

- OpenSource als Standard bei der Beschaffung und dem Betreiben von Software und Reduzierung der Lizenz-Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern auf ein absolutes Minimum (bspw. Microsoft 365). Hier dürfen einzelne Unternehmenswünsche auch nicht die Lehrpläne und Bildungswerte sprengen.

- Fortbildungsangebote für Lehrkräfte an beruflichen Schulen, um Blended Learning Methoden anzuwenden, wie sie bereits vom ZSL zur Verfügung gestellt werden.

- Regelmäßige Qualitätsprüfungen zum Stand der Ausstattung: Modernisierung der Ausstattung für alle beruflichen Schulbereiche, in denen die Ausstattung sich stets weiterentwickelt. Beispielsweise im Handwerk, in der Elektronik, usw.

- Administrative und finanzielle Unterstützung der Kommunen durch das Land bei der Beschaffung, dem Betrieb und den Wartungskosten von Hardware und dessen (langfristiger) Betrieb. Dadurch wird vermieden, dass Kommunen vor langfristigen Investitionen, beispielsweise in der IT-Technik, zurückschrecken.

- Grundsätzliche Regelungen zur Mindestausstattung von Lehrkräften in Baden-Württemberg einführen.

- Ausbau der Lernfabriken 4.0 mit stärkerem Fokus auf Weiterbildung und Ökologie, sowie flächendeckende Regionalbüros für berufliche Fortbildung einführen.

- Übernahme der Tablet Projekte in den Regelbetrieb.

- Glasfaserausbau an beruflichen Schulen zielgerichtet fördern und beschleunigen

- Neue Schulgebäude nur mit direkter und günstiger ÖPNV-Anbindung planen. Bereits bestehende berufliche Schulen sollten v. a. in ländlicheren Regionen durch zusätzliche Finanzierung vom Land besser angebunden werden.

- Übernachtungsmöglichkeiten bei überregionalen Berufsschulen ausbauen und ÖPNV-Anbindung der Schulen gemeinsam mit den Kommunen vorantreiben.

- FM-Anlagen für Hörgeschädigte und Menschen mit ADS oder mit Autismus an allen Schulen ermöglichen

- Sanierung von Gebäuden weiter vorantreiben, um energetische und infrastrukturelle Verbesserungen zu erreichen und den Zugang sowie die Teilnahme für Menschen mit Behinderung zu erleichtern

3. Zukunftsfähige Ausbildungsplätze als politische Priorität wahrnehmen

3.1. Kontext

In manchen Regionen Baden-Württembergs ist die Zahl der Ausbildungsplätze um bis zu 25% zurückgegangen über die letzten Jahre. Laut DGB BW-Bericht wurden 2021 5,2% weniger Ausbildungsstellen und 12,7% weniger Bewerber*innen bei der Agentur für Arbeit gemeldet als im Jahr zuvor. Corona, Strukturwandel aber auch das aktive Entziehen aus der Verantwortung mancher Unternehmen sind nur einige Faktoren, die hier zusammenkommen. Dieser Trend nach unten muss gestoppt werden, im Interesse der jungen Menschen, die eine Ausbildung machen möchten, und im Interesse der Unternehmen, die weiterhin auf gut ausgebildete Mitarbeiter*innen angewiesen sind.

Nur in den Bereichen Bau und Gesundheit/Pflege gab es 2020 einen Anstieg an Ausbildungskapazitäten im Vergleich zum Vorjahr - obwohl auch da die Kapazitäte nicht ausreichen.

Mit Blick auf Bildungspolitik fehlt hier eine klare Ansage für eine Ausbildungsgarantie und für Investitionen in zukunftsgewandte sowie systemrelevante Ausbildungsbereiche. Genauso fehlt auch eine Strategie, die Zukunftsbranchen identifiziert und entsprechende Pfade aufzeigt, wie die Ausbildungsplätze als auch die Plätze an den beruflichen Schulen dafür aus- und umgebaut werden können.

3.2. Forderungen

- Trend-Erhebungen anhand von Zielvorstellungen erstellen (bspw. Klimaneutralität) und diese in die Zahlen der Bundeserhebung einarbeiten. Beispielsweise der Frage ‘Wie viele Menschen braucht es in BW, um öffentliche Gebäude bis 2035 energetisch zu sanieren?’ nachgehen und entsprechende Strategien dafür aufsetzen. Damit verbunden braucht es einen vorausschauenden Ausbau der Kapazitäten an beruflichen Schulen in identifizierten Zukunftsbranchen (Pflege, Sozialpädagogik, grünes Handwerk, ...) und einen Abbau der Kapazitäten in fossilen Branchen.

- Die Gleichrangigkeit von beruflicher und akademischer Bildung muss sich auch in den Schulen und Hochschulen wiederfinden. Hierfür braucht es aktualisierte Leitfäden und Fortbildungsangebote für alle, die an Schulen die Berufs- und Studienorientierung verantworten, sowie entsprechende Angebote an Hochschultagen für Lehramtsinteressierte.

- Ausarbeitung von Konzepten, wie auch in Baden-Württemberg eine Garantie zur Ausbildung für alle aussehen könnte. Dies sollte gemeinsam mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden geschehen und im Vordergrund soll die Verantwortung der Unternehmen stehen, für gut ausgebildetes Personal zu sorgen.

- Erhöhung der Landesmittel zur ÖPNV- und Wohnheimsförderung für Auszubildende und Zusammenarbeit mit Verkehrsverbünden, um die Angebote für Auszubildende denen für Studierende über das Landesjugendticket hinaus anzugleichen.

- Verpflichtende Praktikas an Schulen, um Schüler*innen Einblicke in verschiedene Ausbildungsberufe zu ermöglichen.

- Im Pflegebereich ist je nach genauer Berufsgruppe und Grad des schulischen Anteils der Ausbildung die Urlaubsplanung größtenteils in der Hand der innerbetrieblichen Pflegeschulen. Um das zu ändern sollten Gespräche mit den Schulen geführt werden.

- Kostenfreie Meisterprüfungen einführen.

- Materialkosten in der Meisterschule sollten im Bedarfsfall von Unternehmen oder aus Landesgeldern übernommen werden, um die Lehr- und Lernmittelfreiheit zu garantieren. Dazu gehört auch die Bereitstellung von Kapazitäten in Lehrwerkstätten oder die finanzielle Unterstützung zum Einmieten bei privaten Unternehmen.

4. Demokratie, Teilhabe und politische Bildung an beruflichen Schulen

4.1. Kontext

An beruflichen Schulen bilden die Klassensprecher*innen den Schülerrat. Durch das Wechseln zwischen Schule und Ausbildungsort ist hier eine reguläre Arbeitszeit der Gewählten strukturell erschwert. Es braucht idealerweise zusätzliche Urlaubs- bzw. Schultage, um Austausche und Termine wahrnehmen zu können. Insgesamt sind die Teilhabemöglichkeiten, die eigene berufliche Schule mitzugestalten, begrenzt. Informationen dazu gelangen kaum bis gar nicht an Schüler*innen, trotz des Leitfadens Demokratiebildung.

4.2. Forderungen

- Demokratiebildung zusätzlich zum Leitfaden und dem Fach Gemeinschaftskunde in allen Fächern integrieren bei den nächsten Lehrplanänderungen.

- Demokratiebildung wird am besten erlebt anstatt gelehrt und sollte sich entsprechend in Schulstrukturen und in der Ausbildungspraxis wiederfinden. Dazu sollte beispielsweise das Zugangsrecht für Gewerkschaften und Arbeitnehmer*innen-Interessenverbände verbessert werden.

- Ausbildungseinsatz beim Betriebsrat/Personalrat als Pflichtstation einführen. Dadurch wird die Praxis und Relevanz dieser Arbeit verdeutlicht. Der Zusatzaufwand für die Räte sollte dann entsprechend kompensiert werden.

- Politische Bildung findet durch das Übernehmen von Verantwortung statt. Da die Strukturen in beruflichen Schulen nur begrenzt den Raum für politisches Engagement erlauben, braucht es hier zusätzliche, verpflichtende Tage der politischen Bildung. Dort sollte u. a. auch die Rolle von Gewerkschaften, genossenschaftlichen Modellen und parlamentarischer Demokratie in Deutschland klar erlebt werden können.

- Baden-Württemberg ist ein global agierendes Bundesland. Um zukünftige verantwortungsvolle, sensible Mitarbeiter*innen und Unternehmensführer*innen auszubilden, braucht es eine Erweiterung der Themen in Fächern wie Ethik und Gemeinschaftskunde, um u. a. Themen wie globale Lieferketten, Kolonialismuskritik und vieles mehr zu vermitteln.

- Integration der Leitperspektiven zur Demokratiebildung an beruflichen Schulen.

- Um das demokratische Mitreden für Schülerräte strukturell zu erleichtern, sollte die Möglichkeit einer Aufwandsentschädigung oder eines kleinen Honorars untersucht werden.

5. Bildung für nachhaltige Entwicklung in die Bildungspläne und in die Praxis

5.1. Kontext

Aktuell bilden die in den Bildungsplänen aufgelisteten Themen der Fächer Gemeinschaftskunde, Wirtschaftskompetenz und Ethik den Bereich Nachhaltige Entwicklung nicht zufriedenstellend ab. Wollen wir ein Umdenken bei den berufstätigen jungen Menschen herbeiführen und dabei ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit, Gemeinschaft und Out-Of-The-Box-Denken schaffen, kommen wir mit den aktuellen Methoden nicht weiter. Das Ziel muss sein, jungen Auszubildenden und Schüler*innen an beruflichen Schulen von Beginn an, neben dem Bewusstsein für den zu erlernenden Beruf, das Bewusstsein für die Rahmenbedingungen mit auf den Weg zu geben.

5.2. Forderungen

- Anpassung der Bildungspläne in folgenden Bereichen:

> Berufsbezogene Fächer: begleitend zur Fachausbildung erlernen welche Maßnahmen zukunftsfähig sind und welche nicht (Kreislaufwirtschaft, etc.) sowie Verantwortung des eigenen Berufs verstehen

> Gemeinschaftskunde/Ethik: Verständnis der Klimakrise; Verständnis der internationalen Verantwortung bei Ressourcen, Kaufentscheidungen, etc.; Verständnis der eigenen Privilegien und Förderung interkulturellen Verständnisses sowie Verständnis der Wichtigkeit von Faktoren für mehr Geschlechtergleichheit in die Berufspraxis eingliedern.

> Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil und Freifläche für Innovationen vermitteln. Die Schüler*innen sollen das Thema als eigene Aufgabe im Betrieb und der eigenen Arbeit begreifen. Nicht-nachhaltiges Arbeiten und Wirtschaften soll klar als langfristiger Nachteil für das eigene Unternehmen sowie die eigene Lebensqualität erklärt werden.

- Prüfen, ob ein allgemeines Fach “Nachhaltigkeit” sinnvoll wäre, um u. a. die Anforderungen an das Fach Gemeinschaftskunde zu entlasten und Themen wie klimaneutrale Betriebsführung, Vorrangmodell der Nachhaltigkeit (ohne Umwelt haben wir nichts) sowie die 17 Ziele der Nachhaltigkeit zu thematisieren.

- Schulprogramme fördern, die nachhaltige Entwicklung an den beruflichen Schulen fördern, bspw. durch Schülerprojekte in ihren jeweiligen Fächern.

- Zielvorgabe der Abschlussleistungen der Berufsschüler*innen soll das Themenfeld Nachhaltigkeit behandeln und als Kernthema berücksichtigen. Die Prüflinge sollen sich mit den ökologischen Auswirkungen der eigenen Prüfungsleistung auseinandersetzen und sich ihrer bewusst werden.

6. Inklusive und zugängliche Bildungsmodelle

6.1. Kontext

Um es allen Alters- und Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen, eine neue Ausbildung zu starten oder eine alte Ausbildung weiterzuführen, braucht es verschiedene Modelle, die sich auch in den beruflichen Schulen wiederfinden. In Baden-Württemberg gibt es das Netzwerk Teilzeitausbildung, welches 2011 von der Landesarbeitsgemeinschaft Mädchenpolitik gegründet wurde. Durch eine Ausbildung in Teilzeit können Alleinerziehende und gesundheitlich beeinträchtigte junge Menschen eine Ausbildung absolvieren. Aufgrund der Netzwerkstruktur sind hier v.a. soziale und Pflegeberufe durch Träger und Organisationen vertreten. Soweit richtig verstanden gibt es hier allerdings keine staatliche berufliche Schule, die im Netzwerk mitmacht. Politisch ist die Unterstützung eher begrenzt und läuft über Fördermittel vom Wirtschaftsministerium.

Zur Inklusion an beruflichen Schulen bilden die regionalen Arbeitsstellen Kooperation (ASKO), die an allen staatlichen Schulämtern mit jeweils einem Vertreter für die beruflichen Schulen besetzt sind, die interne Beratungsgrundlage. Seit 2015 gibt es an allen staatlichen Schulämtern Autismusbeauftragte - diese sind allerdings kaum bekannt. Des Weiteren gibt es die Jugendberufshilfe, die sich an Schüler*innen richtet, “die sozial benachteiligt oder individuell beeinträchtigt sind, und hat zum Ziel, die Schülerinnen und Schüler erfolgreich in eine Ausbildung zu begleiten”.

6.2. Forderungen

- Teilzeitausbildung: Netzwerk ausbauen über die Einbindung von staatlichen beruflichen Schulen und die Erweiterung der abgedeckten Bereiche. Zusätzlich sollte die Erweiterung der bezuschussten Projekte ermöglicht werden, um neben Alleinerziehenden, pflegenden Frauen oder Frauen in Bedarfsgemeinschaften auch weitere Gruppen gezielt zu unterstützen.

- Lehrpläne für Teilzeitausbildungen entwickeln für zentrale Bereiche, in denen bereits jetzt oder perspektivisch mit einem Fachkräftemängel gerechnet wird.

- Mehr Zugänge und Aufstiegsmöglichkeiten schaffen für junge Menschen ohne Schulabschluss oder mit Hauptschulabschluss, um eine Ausbildung zu starten. Dies sollte u. a. auch über die Einführung von Produktionsschulen im Land erfolgen.

- Möglichkeit auf Verkürzung der Zweitausbildung schaffen.

- Zertifizierung von Teilleistungen ermöglichen während der Ausbildung und innerhalb der beruflichen Schule, u. a. um Menschen mit Behinderung eine formelle Anerkennung anzubieten, falls diese nicht die gesamte Ausbildung absolvieren.

- Es braucht eine zentrale Website, die klar und einfach zu finden ist, sowie mehr Infomaterialien zu Inklusion an beruflichen Schulen. Beispielsweise um Autismusbeauftragte als Ressource bekannter und zugänglicher zu machen.

- Den sonderpädagogischen Dienst an beruflichen Schulen ausweiten, damit an jeder Schule mindestens eine sonderpädagogische Lehrkraft vertreten ist.

- Strukturen gegen Sexismus und Rassismus an beruflichen Schulen schaffen, die sich sowohl an betroffene Schüler*innen als auch Lehrkräfte wenden.