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Das neue Wahlrecht für Baden-Württemberg
So, 11.12.11

Das neue Wahlrecht für Baden-Württemberg

DAS NEUE WAHLRECHT FÜR BADEN-WÜRTTEMBERG

Personalisiertes Verhältniswahlrecht – Fluch und Segen zugleich„Das Heil der Demokratien hängt von einer geringfügigen technischen Einzelheit ab: vomWahlrecht. Alles andere ist sekundär“1. Dieser Spruch stammt von dem spanischenPhilosophen José Ortega y Gasset, der bereits 1955 verstarb. Wie Recht er damit haben sollte,würde sich in der Zukunft beweisen.Nehmen wir einmal die Probleme des Mehrheitswahlrechts. Bei dieser Form ist es möglich,dass eine Partei, die weniger Stimmen als eine andere hat, mehr Sitze oder Wahlmännerbekommt und damit die Wahl gewinnt. Historische Beispiele dafür gibt es viele. So erzielten dieenglischen Konservativen bei der Parlamentswahl 1951 lediglich 48,0 Prozent der Stimmen,gewannen aber 321 Wahlkreise, während Labour mit 48,8 Prozent lediglich 295 Mandate aufsich vereinen konnte.2Das aktuellste Beispiel für die Verzerrungsform dieses Wahlrechtstypus ist diePräsidentschaftswahl 2000 in den Vereinigenten Staaten, die George W. Bush trotz einesStimmenrückstandes von 532.994 Stimmen auf seinen Kontrahenten Al Gore gewinnenkonnte, weil er in Florida mit 537 Stimmen Vorsprung alle 25 Wahlmännerstimmen auf sichvereinigte.3Auch in der Bundesrepublik Deutschland gibt es solche Beispiele. So schaffte es die SPD beiden Bundestagswahlen 1969 und 1980 mehr Direktmandate zu gewinnen, als die CDU/CSUobwohl sie weniger Erststimmen erhalten hatte.4Auf der anderen Seite steht das Verhältniswahlrecht, das zwar zu einer gerechten Abbildungdes Wählervotums im Parlament führt, gleichzeitig aber demokratiefeindlichen Kräften Tür undTor öffnet. Die Zersplitterung des Parlaments führt zum Erschweren einer Regierungsbildung,was wir insbesondere aus Italien oder den skandinavischen Ländern kennen.Nach dem zweiten Weltkrieg hatte Deutschland die historische Chance ein neues Wahlrecht zuformen, das auf der einen Seite ein gerechtes Stimmungsabbild der Parteien ermöglichte, aufder anderen Seite aber auch stabile Regierungen schaffte. Ein neuer Wahlrechtstypus wargeboren – das Personalisierte Verhältniswahlrecht.Diese Form des Wahlrechts gilt in den meisten Bundesländern, auch in Baden-Württemberg.Die Grundform des Personalisierten Verhältniswahlrechts soll beibehalten werden, dennochtreten in der bisherigen konkreten Ausgestaltung mehrere Probleme auf, die behoben werdenmüssen.In Baden-Württemberg gibt es keine Listen. Die Abgeordneten, die ihre Wahlkreise nicht direktgewinnen können, ziehen über Zweitmandate ins Parlament ein, die sich nach demprozentualen Ergebnis des jeweiligen Wahlkreises errechnen. Dies benachteiligt vor allemFrauen und junge Menschen.Auch die Wahlkreiseinteilung ist höchst fragwürdig und orientiert sich nicht wirklich anregionalen Gegebenheiten und Kreisgrenzen. Der hohe Anteil der Wahlkreise führt unweigerlich1http://nrw.mehr-demokratie.de/wahl-nrw.html.2http://parties-and-elections.de/unitedkingdom2.html.3http://www.fec.gov/pubrec/2000presgeresults.htm.4http://www.w….
zu Überhangmandaten.Der bezirksweite Augleich bevorzugt die Überhängende Partei. Dadurch kann auch in Baden-Württemberg bei einen knappen Wahlergebnis eine Partei die weniger Stimmen erhalten hat,eine Sitzmehrheit im Landtag stellen.Diese Probleme gilt es auszumerzen um so ein Wahlsystem zu schaffen, welches keine Parteibevorzugt, sondern unideologisch und fair ist, damit sich der Wille des Volkes möglichstunverzerrt in der Sitzverteilung im Parlament widerspiegeln kann.Ein neues Wahlsystem für Baden-WürttembergBaden-Württemberg braucht ein moderneres Wahlrecht, welches die Lehren, die wir in derVergangenheit gezogen haben, aufgreift und ernst nimmt. Hier kann es nicht darum gehen,dass eine Partei besonders profitiert – hier muss sich der Wählerwille möglichst gerecht imParlament abbilden.Listenwahlrecht für ein geschlechterechtes ParlamentAuf Bundesebene und in vielen Landesparlamenten gibt es ein Zweistimmenwahlrecht. DieErststimme wählt den jeweiligen Wahlkreiskandidaten und die Zweitstimme eine (Landes-) listeeiner Partei. Dies führt dazu, dass sowohl die Geschlechter als auch die verschiedenenAltergruppen relativ ausgewogen vertreten sind.Nicht so in Baden-Württemberg. Dort liegt der Frauenanteil des 15. Landtages bei geradeeinmal 18,1 Prozent.5 Das Durchschnittsalter beträgt 51,1 Jahre. Hier ist der Willkürüberlassen, wie ausgewogen ein Parlament ist, da nur die Kreisverbände Kompetenzen in derKandidatenaufstellung haben. Diese haben nicht die Möglichkeit eine landesweiteAusgewogenheit herzustellen.Aber nur das Bundestagswahlrecht zu übernehmen würde unseren Ansprüchen nicht genügen.Gerade das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat gezeigt, dass auch dieses Wahlrechtnicht gerecht und verfassungskonform ist.6 Deshalb bedarf es hier einer neuen,differenzierteren Ausgestaltung.Die Erststimme ist weitgehend bedeutungslos und begünstigt nur Überhangmandate, weil sieoft einer „großen“ Partei gegeben wird und verhindert oft, dass „kleine“ Parteien auchWahlkreise gewinnen können. So erhielten die GRÜNEN bei der hessischen Landtagswahl 2009im Wahlkreis 38 Frankfurt V beispielsweise mit 28,1 Prozent die relative Mehrheit derZweitstimmen, gefolgt von der CDU mit 25,7 Prozent. Die CDU konnte jedoch den Wahlkreismit 30,7 Prozent der Erststimmen direkt gewinnen, was zu einem CDU-Überhangmandat undsomit der Vergrößerung des Landtages führte.7 Überhangmandate sollten aber möglichstvermieden werden, weil sie zu einer Aufblähung des Landtags führen und ein gerechterAusgleich schwierig ist.Dieses neue Wahlsystem mit nur einer Stimme sorgt auch für eine rege Wahlbeteiligung, daeine Stimmabgabe für den Bürger einfach ist. Das vorherige Informieren über das Wahlrecht,wie in Hamburg oder Bremen ist nicht vonnöten.Zudem gibt es in Baden-Württemberg keine Listen, was zu der schon angesprochenenProblematik führt, dass Frauen und junge Menschen schlechter repräsentiert sind, als in jedemanderen Parlament in Deutschland. Aus diesem Grund sollte das neue Wahlrecht mitgeschlossenen Listen ausgestattet sein. Diese könnten die Parteien, nach dem Beispiel vonRheinland-Pfalz (§§ 26 II, 29 LWG RP) wahlweise als Landesliste für das ganze Land oder als jeeine Bezirksliste in den vier Regierungsbezirken Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg und Tübingenaufstellen.8 Auf einer Liste können die Parteien beide Geschlechter ausgewogen verteilen,5http://www.statistik-bw.de/Pressemitt/2011157.asp.6 vgl. BVerfGE vom 3.7.2008.7http://www.statistik-hessen.de/subweb/ltw2009/S2381.htm.8http://www.wahlrecht.de/landtage/rheinland-pfalz.htm.
sowie auch junge Menschen auf aussichtsreiche Plätze setzen, damit der Landtag von Baden-Württemberg auch wirklich ein Spiegelbild der Gesellschaft wird.Die Fünf-Prozent-Hürde bewahrt ein Parlament vor der Zersplitterung und soll deshalbweiterhin beibehalten werden. Gerade in der Weimarer Republik haben wir schlechteErfahrungen gemacht mit Parlamenten ohne Sperrklauseln und sollten aus dieser Erfahrungauch die richtige Lehre ziehen. Eine Grundmandatsklausel soll weiterhin nicht gelten.Gleichzeitig soll die Absenkung des Mindestalters für das aktive Wahlrecht bei Landtagswahlenauch den jüngeren Menschen mehr Gewicht bei der Gestaltung der Zukunft verschaffen.Größere Wahlkreise für einen kleineren LandtagDer baden-württembergische Landtag hat eine reguläre Sitzzahl von 120 Sitzen. GeradeSitzzahlen sind heikel, da sie bei besonders knappen Wahlresultaten zu Pattsituationen führenkönnen. Dieses Problem ergab sich beispielsweise bei der hessischen Landtagswahl 2008. Derhessische Landtag hat 110 Sitze. Nach der Hochrechnung der Forschungsgruppe Wahlen um18:42 erhielten sowohl Rot-Grün, als auch Schwarz-Gelb jeweils 55 Mandate und somitSitzgleichheit.9Um einer solchen Problematik vorzubeugen, soll der baden-württembergische Landtag künftig121 reguläre Sitze erhalten. Diese ungerade Sitzzahl soll auch beim Ausgleich vonÜberhangmandaten beibehalten werden, wie es auch in § 5 Abs. 5 des HamburgischenBürgerschaftswahlgesetzes festgehalten ist. Demnach erhöht sich die Gesamtsitzzahl desLandtages um einen weiteren Sitz, wenn er durch den regulären Ausgleich eine gerade Sitzzahlerhalten hat.Auch eine Neueinteilung der Wahlkreise ist nötig. Bisher hat der Landtag von Baden-Württemberg 70 Wahlkreise, was einen Anteil an 58,3 Prozent der Gesamtsitzzahl ausmacht.Dieser hohe Wahlkreisanteil ist ursächlich für die hohe Anzahl an Überhangmandaten. Deshalbsoll die Anzahl der Wahlkreise auf 61 reduziert werden, was – wenn man von einerGrundsitzzahl von 121 Sitzen ausgeht – einen Anteil von 50,4 Prozent ausmacht.Geht man von 7.622.873 Wahlberechtigten10 aus, wie es sie bei der Landtagswahl 2011 inBaden-Württemberg gab, läge die Regelgröße eines der 61 neuen Wahlkreise bei 124.965wahlberechtigten Bürgern. Diese Wahlkreisgröße sollte um nicht mehr als 15 Prozent über-oder unterschritten werden. Zudem ist bei der neuen Wahlkreiseinteilung auch besonders aufdie kommunalen Grenzen und die regionalen Begebenheiten zu achten. Um Probleme, wie dieEssingen-Klage11 in Zukunft zu vermeiden, müssen die Bürgerinnen und Bürger vor Ort auchmit in die Entscheidungsfindung mit Einbezogen werden. Eine neue Wahlkreiseinteilung darfnicht zentral von Stuttgart aus erfolgen, weil die Begebenheiten vor Ort nicht bekannt sind.Gerechtes Abbild des WählervotumsZu einem gerechten Wahlsystem gehört auch eine gerechte Auszählarithmetik der Sitze. Dieswar in Baden-Württemberg nicht gegeben. Es ist erfreulich, dass nun das unfaire Verfahrennach d’Hondt bereits zur Landtagswahl 2011 durch das Sainte-Laguë-Verfahren ersetzt wurde.Dies soll in Zukunft beibehalten werden. Das Verfahren soll sowohl für den Ausgleich voninternen als auch von externen Überhangmandaten eingesetzt werden.Eine weitere Herausforderung ist der Ausgleich der Überhangmandate. Seit 1980 gab es beijeder Landtagswahl Überhangmandate für die CDU. Das Hauptproblem dabei ist, dass sie nichtlandesweit, sondern nach den Regierungsbezirken ausgeglichen werden. Dies führt zuVerzerrungen, die die nicht überhängenden Parteien benachteiligen. Bei der Landtagswahl2011 war die Sitzverteilung: CDU 60; GRÜNE 36; SPD 35; FDP 7. Bei einem gerechten,9http://www.wahlrecht.de/news/2008/he-2008.htm.10http://www.statistik-bw.de/Wahlen/Landtagswahl_2011/Land.asp.11http://www.schwaebische.de/region/ostalb/aalen_a….
landesweiten Ausgleich hätten sowohl GRÜNE als auch FDP ein Mandat mehr erhalten.12 Derbezirksweite Ausgleich kostete somit Bernd Zander (Grüner-Kandidat im Wahlkreis 68 Wangen)sowie Oliver Kuppel (FDP-Kandidat im Wahlkreis 57 Singen) das Landtagsmandat. Um wirklichdas Abbild der Wählerstimmen landesweit möglichst genau wiederzugeben, soll einlandesweiter Ausgleich der Überhangmandate eingeführt werden.Alle Überhangmandate die entstehen, müssen ausgeglichen werden, um folgender Problematikvorzubeugen: Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2009 erhielten CDU und FDPgemeinsam nur 46,4 Prozent der Stimmen aber eine Mandatsmehrheit von 48 Sitzen. Die imLandtag vertretenen Oppositionsparteien kamen auf 47,9 Prozent aber lediglich 47 Mandate.Grund dafür waren Überhangmandate der CDU, die nur solange ausgeglichen werden durften,bis der Landtag die Höchstsitzzahl von 95 erreichte. Diese Wahl wurde inzwischen fürverfassungswidrig erklärt und muss deshalb wiederholt werden.13Deshalb möchte die GRÜNE JUGEND Baden-Württemberg der Grünen Landtagsfraktion bei derWahlrechtsreform vorschlagen, folgende Punkte zu bedenken:•Einführung von Landes- bzw. Bezirkslisten•Beibehaltung des Einstimmenwahlrechts•Reduzierung der Wahlkreise auf 61 (bei einer Gesamtsitzzahl von 121 Sitzen)•Ungerade Sitzzahl, die auch bei Überhang beibehalten werden soll•Beibehaltung des Sainte/Lague-Verfahrens und landesweiter Ausgleich derÜberhangmandate•Senkung des aktiven Wahlalters bei Landtags- und Kommunalwahlen