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Geburtshilfe als das behandeln, was sie ist: Elementar für unsere Gesellschaft
So, 8.10.23

Geburtshilfe als das behandeln, was sie ist: Elementar für unsere Gesellschaft

DIESER ANTRAG WURDE VON DER LANDESMITGLIEDERVERSAMMLUNG AM 8. OKTOBER 2023 IN HEIDENHEIM BESCHLOSSEN.

Der Bereich der Geburtshilfe taucht in den letzten Jahren zunehmend aus einer Eltern-Blase aus, Geburt wird nicht mehr rosarot beschrieben, sondern enttabuisiert und somit mehren sich auch öffentlich hörbare Erfahrungsberichte von Gebärenden wie von Geburtshelfer*innen. Selbstbestimmung über den eigenen Körper auch während einer Schwangerschaft und Gewalt bei der Geburt geraten zunehmend in den Fokus. Damit und durch den Mangel an Fachkräften im Bereich der Geburtshilfe stellt sich die Frage, wie moderne Geburtshilfe aussehen kann und sollte. Diesen Fragen möchten wir uns als GRÜNE JUGEND BW in diesem Antrag widmen, denn die Arbeitsbedingungen in einem bisher überdurchschnittlich weiblich besetzten Berufsbild und die Rahmenbedingungen für eine selbstbestimmte Geburt bilden die erste Voraussetzung für eine zukunftsfähige, gerechte und wachsende Gesellschaft.

Die von uns aufgestellten Forderungen, die auf dem Austausch mit Verbänden und Berufsgruppen, die im Bereich der Geburtshilfe arbeiten, basieren, erheben selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Gerade nach den Gesprächen mit relevanten Akteur*innen appellieren wir als GJBW, dass Berufsgruppen der Geburtshilfe in Entscheidungsprozesse und Gesetzgebungsverfahren frühzeitig eingebunden und transparent über die Entscheidungsfindung in Kenntnis gesetzt werden, um ihre Expertise und Praxiserfahrung einbringen zu können. Dabei wäre beispielsweise eine Kammer für Hebammen zielführend, die die bisherigen, temporären Runden Tische institutionalisiert.

Im Bereich der Geburtshilfe sind diverse Berufsgruppen angesiedelt, die es zu berücksichtigen und zusammenzubringen gilt. So bringen Hebammen, die in einer Geburtsklinik angestellt sind, eine andere Perspektive ein wie selbstständige Hebammen, private Geburtshäuser, Gynäkolog*innen oder Kinderkrankenpfleger*innen.

Oberstes Ziel muss immer sein, die freie, informierte und selbstbestimmte Wahl auf Geburtsort und Geburtsart zu garantieren.

Da nicht nur cis-Frauen sondern allgemein Menschen mit Uterus schwanger werden können, ist dieser Antrag bewusst gegendert gehalten. Es wird daher von Gebärenden statt von Müttern gesprochen.

Rahmenbedingungen von Hebammen

Gute Rahmenbedingungen sind von entscheidender Bedeutung für die erfolgreiche Tätigkeit von Hebammen und Geburtspfleger*innen. Die Grüne Jugend Baden-Württemberg sieht vor allem im Bereich der Rahmenbedingungen erhebliche Hindernisse für die positive Entwicklung des Berufs und folglich auch für eine zuverlässige Geburtshilfe.

An erster Stelle sind für uns die völlig inakzeptabel hohen Versicherungs- und Haftpflichtprämien, die von Hebammen entrichtet werden müssen, zu erwähnen. Es ist keine Seltenheit, dass diese Prämien monatlich mehr als 10.000 Euro betragen, was aus Sicht von Fachverbänden eine erhebliche Gefahr für die Zukunft des Hebammenberufs darstellt. Die Grüne Jugend Baden-Württemberg spricht sich nachdrücklich für eine rasche Reduzierung dieser Kosten aus. Dies könnte entweder durch direkte finanzielle Unterstützung seitens des Landes erfolgen oder durch die Einführung zentraler Verhandlungen über die Prämien, entweder durch das Land selbst oder durch eine eigens dafür geschaffene Einrichtung, z.B. eine Kammer, die im Namen aller Hebammen in Baden-Württemberg verhandelt. Geburten und das damit verbundene “Risiko” müssen von der Gesellschaft getragen werden, es darf nicht auf eine einzelne Berufsgruppe ausgelagert/verschoben werden.

Personalschlüssel

Zentrales Problem der Geburtshilfe ist der anhaltende Mangel an Hebammen. Ohne Hebammen gibt es keine angemessene Vor- und Nachsorge sowie keine direkte Betreuung während der Geburt. Dies hat nachweislich gesundheitliche Risiken für sowohl die Gebärenden als auch die Babys zur Folge. Die Grüne Jugend Baden-Württemberg setzt sich für eine Verbesserung dieser Situation ein, dieses Ziel ist auch bereits im aktuellen Koalitionsvertrag als Verpflichtung zur 1:1-Betreuung verankert.

Um dieses Versprechen umzusetzen, unterstützen wir als Grüne Jugend Baden-Württemberg die folgenden Forderung des Deutschen Hebammenverbands:

Ein Programm zur Schaffung von Hebammen-Sonderstellen. Neue Stellen für Hebammen sowie die Aufstockung von Stellen in geburtshilflichen Abteilungen werden vollständig aus einem speziellen Förderprogramm finanziert. Dies geschieht so lange, bis in jeder geburtshilflichen Abteilung ein Personalschlüssel von einer Vollzeit-Hebammenstelle pro 30 Entbindungen pro Jahr erreicht ist. Dadurch wird sichergestellt, dass zukünftig jede Frau während der Geburt von einer Hebamme begleitet wird.

Bezahlung bzw. Abrechnungspauschalen

Die Grüne Jugend BW betrachtet die aktuelle Vergütungssituation für Hebammen im Tarifbereich und die Abrechnungspauschalen für freiberufliche Hebammen als unangemessen niedrig. Obwohl das durchschnittliche Gehalt in BW mit rund 3.400 Euro pro Monat deutschlandweit an der Spitze liegt, steht dies in starkem Kontrast zur Verantwortung, die mit diesem Beruf einhergeht, sowie zur zunehmenden Akademisierung des Berufsstandes. Daher setzen wir uns nachdrücklich für eine rasche Erhöhung der Tarifvergütung für Hebammen um 25 % ein.

Darüber hinaus üben wir scharfe Kritik an der stark bürokratisierten und unzureichenden Berechnung der Abrechnungspauschalen. Wir befürworten eine erhebliche Vereinfachung dieser Pauschalen und die Einführung automatischer regelmäßiger Anpassungen. Zudem plädieren wir für eine Erweiterung und Flexibilisierung der abrechenbaren Leistungen, insbesondere im Bereich der Geburtsvor- und Nachsorge. Diese Maßnahmen würden nicht nur finanzielle Entlastung für Hebammen bedeuten, sondern auch die Informationsversorgung von Schwangeren verbessern, die Komplikationsrate senken und somit das Gesundheitssystem entlasten. Wir möchten insbesondere die Pauschalen für Telefon- und Hausbesuche, die Wochenbettbetreuung und die Durchführung von (Geburtsvorbereitungs-)Kursen hervorheben.

Geburtsvor- und Nachsorge

Die pränatale Betreuung umfasst verschiedene wichtige Aspekte. Dazu gehört zunächst die Beratungen zur Ernährung, zur körperlichen Aktivität und zum Lebensstil während der Schwangerschaft. Dies hilft werdenden Eltern, gesunde Gewohnheiten beizubehalten und eine optimale Umgebung für die Entwicklung des Fötus zu schaffen. Ein weiterer entscheidender Teil der pränatalen Betreuung ist die kontinuierliche Überwachung des Schwangerschaftsverlaufs. Dies dient dazu, mögliche Schwangerschaftskomplikationen frühzeitig zu erkennen und, wenn notwendig, Maßnahmen zur Behandlung oder Prävention von Komplikationen während der Geburt zu ergreifen. Durch eine umfassende pränatale Betreuung wird das Ziel verfolgt, die Gesundheit der gebärenden Person und die Sicherheit des Babys während der Schwangerschaft und der Geburt bestmöglich zu gewährleisten.

Geburtsvorbereitungskurse müssen allen werdenden Eltern zur Verfügung stehen, um sie auf die bevorstehende Geburt vorzubereiten und ihnen wertvolle Informationen zum Geburtsprozess zu vermitteln. Diese Kurse müssen sowohl medizinische als auch praktische Aspekte abbilden, einschließlich besonderer Aspekte wie Atemtechniken und Schmerzbewältigung, um werdende Eltern optimal auf die Geburt vorzubereiten.

Die Nachsorge für die gebärende Person ist ein wichtiger Bestandteil der Geburtsbetreuung. Sie umfasst medizinische Betreuung und Überwachung nach der Geburt, um sicherzustellen, dass für die gebärende Person keine Komplikationen entstehen . Darüber hinaus erhalten Gebärende Unterstützung bei ihrer Genesung, inklusive Empfehlungen zur angemessenen körperlichen Aktivität und Ernährung, um ihre Gesundheit zu schützen. Dies umfasst körperliche und psychische Aspekte. Die Angebote für eine gute Nachsorge müssen flächendeckend gesichert sowie niedrigschwellig erreichbar sein und durch Fachpersonal begleitet werden.

Für die gesamte Vor- und Nachsorge muss darüber hinaus sichergestellt sein dass es Angebote für emotionalen und sozialen Support von Gebärenden und ihrer Partner*innen gibt. Dies umfasst psychosoziale Unterstützung für werdende Eltern, um ihnen dabei zu helfen, Ängste und Unsicherheiten in dieser herausfordernden Phase zu bewältigen. Zusätzlich muss Unterstützung angeboten werden, um die Anpassung an die neue Lebenssituation als Eltern zu erleichtern und den Stress, der mit dieser Veränderung einhergeht, zu bewältigen. Dieser unterstützende Aspekt der Geburtsbetreuung trägt dazu bei, die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der werdenden Eltern zu fördern und ihnen die nötige Unterstützung in dieser aufregenden, aber auch anspruchsvollen Zeit zu bieten. Als Grüne Jugend BW setzten wir uns deshalb dafür ein, vereinfacht Unterstützung im Haushalt oder eine umfassendere Kinderbetreuung beantragen zu können.

Bürokratischer Aufwand

Im Rahmen der Bemühungen um einen effektiven Bürokratieabbau im Bereich der Hebammenarbeit plädieren wir dafür Maßnahmen zu ergreifen, um das Qualitätsmanagement sowie das Antragsverfahren für Hebammen zu vereinfachen.

Im Hinblick auf das Qualitätsmanagement sollen die bürokratischen Anforderungen, die bei der Qualitätskontrolle für Hebammen anfallen, reduziert werden. Dies bedeutet, dass die Prozesse zur Überwachung und Sicherung der Dienstleistungsqualität effizienter gestaltet werden, wodurch Hebammen mehr Zeit für ihre eigentliche Arbeit haben. Dabei werden klare Richtlinien und Standards etabliert, um die Qualität der Geburtshilfe auf einem hohen Niveau zu gewährleisten, ohne dass Hebammen von übermäßigen Verwaltungsaufgaben belastet werden.

Gleichzeitig soll das Antragsverfahren für Hebammen erleichtert werden. Hierbei werden weniger komplexe Verfahren für die Zulassung und Lizenzierung von Hebammen eingeführt. Dies führt zu beschleunigten Genehmigungsprozessen, die es Hebammen ermöglichen, schneller in ihrer Berufsausübung voranzukommen. Durch die Reduzierung bürokratischer Hürden wird Hebammen die Möglichkeit gegeben, ihre Dienste leichter anzubieten, was letztendlich die Gesundheitsversorgung verbessert und den Zugang zu qualifizierter Geburtshilfe erleichtert.

Kammer für Hebammen

Als Grüne Jugend Baden-Württemberg unterstützen wir ausdrücklich die Initiative https://hebammenkammer.org/ für die Einrichtung einer Kammer für Hebammen. Diese Maßnahme erachten wir als notwendig, um die beruflichen Belange und die Qualität der Geburtshilfe zu stärken und zu fördern. Die Grüne Jugend BW sieht in der Gründung einer Hebammenkammer eine wichtige Möglichkeit, die Interessen und Anliegen der Hebammen effektiver zu vertreten und ihre berufliche Situation zu verbessern. Diesen Schritt sehen wir als logische Fortführung zum, durch das Sozialministeriums durchgeführten, “Runden Tisch Geburtshilfe".

Amtshebammen

Zusätzlich sprechen wir uns als GJBW für die Schaffung von Amtshebammen aus - ein System orientiert an den bewährten Strukturen der Amtsärzte. Diese sollen als Ansprechpartner*innen für Beratung fungieren, Verwaltung und Politik vor Ort beraten und die Koordinierung von Strukturen der Geburtshilfe vor Ort begleiten. Hierfür fordern wir die Schaffung einer Amtshebamme oder eines Geburtspflegers in jedem Kreis in Baden-Württemberg.

Information, Aufklärung, Patient*innenrecht

Die beste, jedoch an den meisten Stellen noch utopische, Version von Geburtshilfe nimmt den gesamten Prozess von Schwangerschaft über Geburt, Wochenbett und Nachsorge in den Blick und orientiert sich dabei an den Bedürfnissen sowie der körperlichen und psychosozialen Situation der schwangeren Person. Während eine möglichst interventionsarme Betreuung wünschenswert und angestrebtes Ziel ist, muss gleichzeitig das Betreuungs-, Beratungs- und Notfallsorgenetz konsequent, flächendeckend und absolut zugänglich garantiert sein.

Allgemein, aber besonders aufgrund der Komplexität und Emotionalität des Themenbereichs Geburtshilfe ist die Wahrung der Patient*innen-Rechte sowie die Selbstbestimmung elementar.

Die ausführliche, patient*innenorientierte Aufklärung der schwangeren Person über ihre Rechte und Möglichkeiten fehlt beinahe überall in der Geburtshilfe. Dass Zustimmungsregelungen, Aufklärungspflichten und andere Patient*innenrechte verletzt werden, ist der Regelfall.

Aufklärung und Information müssen neu gedacht, koordiniert und ernst genommen werden. Ziel muss sein, schwangere Personen zu befähigen, nach einer umfassenden, objektiven, zielgruppen-spezifischen und konsistenten Information, selbst eine Entscheidung zu Geburtsort und Geburtsart zu treffen. Damit dies möglich ist, muss über das gesamte Versorgungsangebot während der Schwangerschaft, über Hebammenleistungen, gynäkologische Leistungen sowie die Kostenübernahmen durch Krankenkassen genauso gesprochen werden wie über die vielfältigen Möglichkeiten einer Geburt. Durch Aufklärung und frühe Zusammenarbeit der verschiedenen Akteur*innen rund um die schwangere Person kann beispielsweise mit Hilfe von detaillierter Anamnese und individueller Risikobewertung schon früh eine Einschätzung der Situation getroffen werden. Wenn dort keine medizinischen oder psychologischen Risikofaktoren erkennbar sind, kann sich auf die "normale" physiologische Geburt konzentriert und vorbereitet werden und die Entscheidung des Geburtsorts freier getroffen werden. Ebenso muss über Geburtsnachsorge, Wochenbett und Stillen frühzeitig informiert und auf entsprechende Angebote von Hebammen und Kinderärzt*innen hingewiesen werden. Leider endet die Aufklärung und Unterstützung oft direkt bei der Geburt, was zu großen Problemen beim Stillen oder dem Verpassen von wichtigen Nachuntersuchungen führt. Insbesondere bei der Nachsorge entsteht durch diese Informationslücke ein Zweiklassensystem.

Unser Geburtshilfe-System ist ein komplexes Wissenssystem, das keineswegs strukturell auf Niederschwelligkeit oder Zugänglichkeit einer diversen Gesellschaft ausgelegt ist. Die Probleme beginnen beim Zugang zu Informationen, denn statt konsequenter, aktiver, umfassender Informationsweitergabe an schwangere Personen müssen Schwangere sich ihre Informationen selbst zusammensuchen. Kommen dann Sprachbarrieren hinzu, werden die Möglichkeiten noch dünner. So ist es kein Wunder, dass gerade nicht-deutschsprachige und nicht im deutschen Gesundheitssystem sozialisierte Personen seltener die angesetzte Betreuung durch Hebammen und geburtsvorbereitende Maßnahmen sowie deutlich seltener wichtige Nachsorgeangebote nutzen. Das kann extrem gesundheitsbedrohende Auswirkungen haben.

Noch mehr von Informationen und Unterstützungsangeboten ausgeschlossen sind geflüchtete Schwangere, die in Landeserstaufnahmeeinrichtungen (LEAs) untergebracht sind. Externen Personen wird der Zugang in LEAs meist verwehrt, Möglichkeiten und die genaue Situation in den LEAs ist nicht transparent und so kann "von außen" nur schwer und über Umwege unterstützt werden. Ganz besonders hier muss ein klares, transparentes und am Wohl der schwangeren Person statt an Abschottung orientiertes System geschaffen werden und der Zugang zu medizinischer, gynäkologischer sowie psychischer Versorgung sichergestellt werden.


Verbesserungsmöglichkeiten

Neben den bereits genannten Maßnahmen, werden immer wieder Vorschläge zur Verbesserung von den unterschiedlichen Akteur*innen der Geburtshilfe vorgestellt, jedoch seltenst flächendeckend umgesetzt. Grundsätzlich sollte angestrebt werden, Informationen über die verschiedensten Leistungen während der Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett gesammelt beim ersten schwangerschaftsbedingten Kontakt - also meist bei Gynäkolog*innen - zu übergeben und zu besprechen. So könnte ein Grundstock an Informationen alle schwangeren Personen aktiv erreichen - bisher muss sich über seine Möglichkeiten über die Hotlines der Krankenkassen informieren. Des Weiteren könnte eine Amtshebamme in Familienzentren und ähnlichen Orten Sprechstunden anbieten oder eine kommunale Informations-/Beratungsstelle könnte Hebammen, Kurse und Nachsorgetermine direkt an schwangere Personen vermitteln.

Daher:

Alle relevanten Informationen müssen übersichtlich zusammengefasst und aktiv an möglichst alle, besonders auch an nicht-deutschsprachige Schwangere herangetragen werden, und das so früh wie möglich. Nur so können Selbstbestimmungs- und Patient*innenrechte wirklich wahrgenommen werden. Nur so kann die Zeit von Beginn der Schwangerschaft bis zu den ersten Lebensjahren des Kindes wirklich unterstützt werden und eine möglichst interventionsarme, physiologische Geburt angestrebt werden.

Hebammenausbildung und -studium

Zur Erfüllung von guten Arbeitsbedingungen und Personalschlüsseln, die sowohl Überbelastung vermeiden und gleichzeitig den Standard einer 1:1 Betreuung garantiert, muss das Studium für Hebammen mit mehr Mitteln ausgestattet und attraktiv gestaltet werden. Außerdem müssen dringend mehr Studienplätze geschaffen werden, damit Interessierte nicht aufgrund von Platzmangel abgewiesen werden, während in ganz Deutschland händeringend nach Hebammen gesucht wird.

Als Grüne Jugend BW betrachten wir die Akademisierung des Berufsbildes der Hebammen und Geburtspfleger*innen kritisch. Wir setzen uns dafür ein, dass der Zugang zu diesem praxisorientierten Berufsfeld möglichst vielen Bildungshistorien offen steht und sich nicht auf Personen mit Hochschulzugangsberechtigung beschränkt. Zur Erfüllung dieses Ziels sprechen wir uns für die Möglichkeit einer Aufnahme durch Aufnahmeprüfung aus, auch ohne Hochschulzulassung.

Insbesondere im Studium zeigen sich aktuell aus unserer Sicht weitere Hürden. Der Mangel an Dozent*innen muss schnell reduziert werden durch eine Flexibilisierung der Mindestqualifikationen, insbesondere durch eine Vereinfachung der Erlangung zur Qualifizierung als Anleiter*innen durch eine stärkere Berücksichtigung von Berufserfahrung und vergleichbaren Qualifikationen. Darüber hinaus fordert die Grüne Jugend BW die Einführung einer Pflicht zur Bereitstellung von Praxisplätzen, um diese garantieren zu können und unverschuldete Verzögerungen im Studium zu verhindern.

Abschließend sprechen wir uns als Grüne Jugend BW für einen stärkeren Fokus des Themas Geburt außerhalb einer klassischen medizinischen Betrachtungsweise der Geburt als “Krankheitsbild” aus sowie für eine deutlich stärkere quantitative, wissenschaftliche Betrachtung von Faktoren wie Müttersterblichkeit, Kindersterblichkeit oder sogenannten “Unterwegsgeburten”. Auch das Thema Gewalt während der Geburt sollte einen hohen Stellenwert in der Ausbildung neuer Hebammen erhalten, um die nötige Sensibilisierung zu erreichen und Gebärende vor Gewalt und Eingriffen in ihre Selbstbestimmungsrechte zu schützen.

Rahmenbedingungen von Geburtskliniken

Aktuelle Situation

Von Jahr zu Jahr sinkt die Zahl der Geburtskliniken in Baden-Württemberg und ganz Deutschland. Im Jahr 2017 konnten nur noch 672 der 1942 Kliniken in Deutschland einen Kreißsaal vorweisen, die Tendenz sinkt weiter stark. Dabei werden über 95 % der Kinder in Kliniken geboren. Geschlossene und überfüllte Kreißsäle stellen also ein massives Versorgungsproblem dar. Inzwischen ist die Situation soweit fortgeschritten, dass es keine Seltenheit ist, dass Kliniken schwangere Personen abweisen, meist aus Hebammenmangel oder Überlastung der Neugeborenen-Station. Zudem stellen Geburtskliniken mit ihrer steril-tristen Einrichtung, dem unausgewogenen Kantinenessen, fehlender Klimatisierung und Sanitärbereichen in schlechtem Zustand keine Wohlfühl-Umgebung dar, wie es einer Geburt würdig sein sollte.

Aktuelle Entwicklung von Frühchenstationen

Die Situation von sogenannten Frühchenstationen wird sich 2024 aufgrund neuer Regelungen des gemeinsamen Bundesausschusses von Ärzt*innen, Kliniken und Krankenkassen (G-BA) vermutlich noch einmal deutlich verschlechtern. Denn die neu gefasste Mindestmengenregelung für Kinderkliniken, die festlegt, wie viele Frühchen unter 1250 Gramm pro Jahr in der Klinik geboren werden müssen, um die entsprechenden Gelder dafür zu erhalten, wurde von 14 auf 25 Frühchen pro Jahr ab 2024 erhöht. Da viele Kliniken diese Zahl nicht erreichen, werden sie schließen müssen. Gleichzeitig ist ungeklärt, welche Kliniken mit welchen Raum- und Personalkapazitäten diese Schließungen auffangen sollen und wie das hohe Risiko, das mit einer Verlegung in diesem Frühchenstadium einhergeht, vermieden werden soll.

Personal

Ein weiteres, breites, wenn nicht sogar das größte Problemfeld im Kontext Geburtskliniken ist der Personalmangel. Es fehlt an Gynäkolog*innen, Hebammen und Kinderärzt*innen. Allgemein lässt sich festhalten, dass eine deutliche Diskrepanz zwischen den statistischen und den praktischen Bedarfen besteht. Zudem werden "Mindeststandards" und Mindestpersonalbesetzungen nur seltenst eingehalten. Die inzwischen politisch eingeführten Personaluntergrenzen, also die Zahl an Personal, die nicht unterschritten werden darf, da ansonsten Sanktionen erhoben werden, ist jedoch auch mit Vorsicht zu betrachten. Die Überlegung dahinter ist in jedem Fall löblich, in der Praxis bedeutet diese Untergrenze allerdings, dass Schwangere abgewiesen werden und Verlegungen über große Strecken befördert werden, damit Klinken keinesfalls Gefahr laufen, diese Grenzen zu verfehlen.

Die Personalzustände in Geburtskliniken sind dramatisch. Eine Hebamme muss nicht selten vier oder mehr Geburten parallel begleiten und da in beinahe allen Klinikbereichen Personal fehlt, muss zusätzlich Personal, das dafür nicht eingeplant ist, in anderen Bereichen einspringen. Als Lösung der Personallücken werden dann Leiharbeiter*innen beschäftigt, die zwar flexibler einsetzbar sind, aber mehr verdienen als die Festangestellten, was zu Unmut unter den Beschäftigten führt. Außerdem geht damit ein reger Personalwechsel einher, der für die Abläufe und gerade die Relevanz eines gut eingespielten Kreißsaal-Teams nicht förderlich ist. All das führt zu einer schlechten Betreuung der schwangeren Person und führt nachweislich zu einer höheren Quote an Komplikationen, schlichtweg deshalb, weil niemand im Geburtsprozess die schwangere Person so betreut, dass Schwierigkeiten und Komplikationen rechtzeitig entgegengewirkt werden kann. So entstehen vermeidbare Komplikationen und notfallmedizinische Eingriffe.

An Ideen und Forderungen zur Personalsituation in Geburtskliniken fehlt es nicht, deren Umsetzung lässt allerdings zu wünschen übrig. Wie bei den meisten Entscheidungen zum Thema werden beispielsweise Hebammen als zentrale Akteur*innen in der Geburtshilfe nicht einbezogen - ihre Positionen werden daher kaum ge- oder gern überhört. Um die Vereinbarkeit von Familie und Nachtschichten in Klinken zu stärken, wären beispielsweise angedockte 24-Stunden-Kitas wichtig. Zudem könnte Personal für nicht-medizinische Aufgaben für Entlastung sorgen. Flexiblere Arbeitszeiten, finanziell gut ausgestattete Schulungen, um bestehendem Personal Weiterbildung zu ermöglichen, sowie Boni für alle Berufsgruppen und nicht nur Ärzt*innen würden weitere Anreize schaffen. Im Allgemeinen muss die Vergütung der Berufsgruppen im Bereich Geburtshilfe und Neugeborenenversorgung dringend stark angehoben und an das tatsächliche, immense Verantwortungsniveau angepasst werden.

Gewalt in der Geburtshilfe

Jede dritte gebärende Person berichtet von übergriffigen, respektlosen oder gar gewalttätigen Momenten während der Geburt - ein Zustand, in dem die Person vollständig dem anwesenden Klinikpersonal ausgeliefert ist. Diese Zahlen und Erfahrungsberichte sind alarmierend. Die Übergriffe und Gewalterfahrungen reichen von respektlosem Umgang, fehlender Kommunikation über das Vorgehen, Missachten der Intimsphäre, Beleidigungen, Drohungen und tatsächlich körperlicher Gewalt. Gebärende berichten davon, dass wechselndes Personal zu ihnen in den Raum kommt und mit einer gynäkologischen Untersuchung beginnt, ohne Hallo gesagt zu haben oder Blickkontakt herzustellen. Andere berichten vom sogenannten husband stitch, das heißt, dass nach einem Dammriss oder nach einem Dammschnitt die Vagina zu eng zusammengenäht wurde, oftmals aus dem Schönheitsempfinden der Ärzt*innen ohne Absprache mit der betroffenen Person. Die Liste der Gewalttaten während der Geburt scheint endlos. Die Folgen für die betroffene Person reichen von “schlechten Erfahrungen” bis hin zu jahrelanger, posttraumatischer Belastungsstörung. Hier muss durch weitreichende Schulung des bestehenden Klinikpersonals, Thematisierung während des Studiums und dem Erlernen angemessener Kommunikation sowie durch wissenschaftlicher Erhebung, Aufarbeitung und psychischer Unterstützung von Betroffenen das Tabu über Gewalt in der Geburtshilfe gebrochen werden.

Kaiserschnitte

Wenn man sich mit Geburtshilfe in Deutschland beschäftigt, fällt vor allem auch auf, dass die Kaiserschnittrate im Vergleich zu anderen Ländern extrem hoch ist und weit über den Empfehlungen der WHO liegt. In Baden-Württemberg waren 2022 ca. 31 % aller Entbindungen im Krankenhaus Kaiserschnitte. Der vom WHO angesteuerte Höchstwert liegt bei 15 %. Für diese hohen Zahlen gibt es insbesondere drei Gründe. Zum einen die bereits angesprochene Personalsituation, durch die Risikosituation zu spät erkannt werden. Zum zweiten die schlichte Effizienz und der ökonomische Druck, der auf einem Krankenhaus lastet. Ein Kaiserschnitt dauert zwischen 30 und 60 Minuten. Eine natürliche Erstgeburt dauert durchschnittlich 13 Stunden. Ein Kaiserschnitt ist also deutlich zeiteffizienter und kann in der Raum- und Personalplanung weit im Voraus an einem festen Termin eingeplant werden. Der dritte Anreiz, einen objektiv nicht notwendigen, aber durchaus medizinisch begründbaren Kaiserschnitt - und genau das ist der ärztliche Entscheidungsspielraum - durchzuführen, sind die angesetzten Fallpauschalen.

Fallpauschalen

Fallpauschalen oder auch DRG (Diagnosis Related Groups) genannt, bezeichnet ein leistungsorientiertes Vergütungssystem, das Grundlage aller medizinischer Behandlungen ist. Es fasst einzelne Behandlungsfälle nach vordefinierten Kriterien und Diagnosen zu Fallgruppen zusammen, die dann eine feste Vergütungssumme zugeordnet bekommen. Eine Maßnahme, die zur Gruppe X gehört, wird also mit einer Summe Y vergütet. Im Bereich der Geburtshilfe hat dieses System mehrere Auswirkungen. Zum einen ist die Vergütungspauschale für einen Kaiserschnitt höher als die für eine natürliche Geburt. Zum anderen - und hier findet sich ein Hauptgrund für die Schließung von Geburtskliniken und Kreißsälen - sind jegliche Maßnahmen im Bereich der Geburtshilfe unter dem aktuellen Fallpauschalensystem immer ein Minusgeschäft und daher für Kliniken kaum tragbar. Schlicht: Geburten lohnen sich für Krankenhäuser nicht, Krankenhäuser müssen im aktuellen System aber nach Wirtschaftlichkeit arbeiten, also werden unwirtschaftliche Abteilungen geschlossen. Klinische Geburtshilfe kann in Zukunft also nicht ohne die Erhöhung der Pauschalvergütungssumme aufrechterhalten werden.

Zentralisierung

Im Kontext der sich aktuell im Prozess befindenden Krankenhausreform unter Gesundheitsminister Karl Lauterbach wird die Frage der Zentralisierung viel diskutiert. Bezogen auf die Geburtshilfe ist eine Abwägung in der Beurteilung von Nöten. Von den meisten Akteur*innen wird eine flächendeckende, wohnortnahe Geburtshilfe sowie das Recht der schwangeren Person auf die freie Wahl von Geburtsort und -art als extrem wichtig erachtet. Lokale Versorgungszentren sowie Geburtshäuser könnten dazu ihren Beitrag leisten und sollten kontinuierlich vom Land gefördert werden. Der ausschlaggebende Punkt im Falle einer Zentralisierung ist die Entfernung, das Netzwerk und die Zusammenarbeit lokaler Geburtshilfe Angebote und der Geburtskliniken. Große Geburtskliniken mit speziell ausgebildeten Fachärzt*innen und einer Kinderintensivstation stellen für Notfälle und Risikoschwangerschaften eine wichtige Anlaufstelle dar, während für natürliche, physiologische Geburten - die als Regelfall betrachtet werden sollten und dies auch sind - wohnortnahe und persönlichere Betreuung bedarfsgerechter sind. Entscheidend ist im Zusammenspiel beider Optionen, dass die Entfernung zur nächstgelegenen Klinik nicht zu groß ist, damit im Notfall verlegt werden kann. Die Entfernung der nächsten Geburtsklinik spielt aber selbstverständlich nicht nur in diesem Fall, sondern ebenso in der überwiegenden Anzahl an gewollten Klinikgeburten ebenso eine wichtige Rolle. Der G-BA hat als realistische Untergrenze für eine flächendeckende Versorgung sowie als medizinisch vertretbaren Schwellenwert eine Auto-Fahrzeit zur nächstgelegenen geburtshilflichen Klinik von maximal 40 Minuten festgelegt. Schwangere Personen ohne Auto oder ohne Fahrer*in oder Ereignisse wie Stau und Unwetter werden dabei nicht berücksichtigt.

Fazit

Die Geburtshilfe muss überdacht und verbessert werden. Zunächst sind die Rahmenbedingungen für Hebammen von entscheidender Bedeutung. Hierzu zählen die Forderungen nach einem besseren Personalschlüssel, der es den Hebammen ermöglicht, ihre Arbeit angemessen auszuführen, sowie die Notwendigkeit, die Bezahlung und Abrechnungspauschalen deutlich attraktiver zu gestalten. Dies würde nicht nur die finanzielle Anerkennung der Hebammentätigkeit verbessern, sondern auch die Motivation und Zufriedenheit der Hebammen steigern.

Des Weiteren ist es von großer Bedeutung, die Geburtsvor- und Nachsorge zu stärken und weiterzuentwickeln, um sicherzustellen, dass Gebärende und ihre Neugeborenen eine umfassende Betreuung erhalten. Hierbei sollten auch bürokratische Hürden reduziert werden, um den Fokus auf die eigentliche Betreuung zu lenken.

Die Schaffung einer eigenen Kammer für Hebammen sowie die Einführung von Amtshebammen soll neue Strukturen schaffen die den Berufsstand fördern und eine effizientere Organisation der Hebammentätigkeit ermöglichen.

Ein weiterer Schwerpunkt sollte auf Information, Aufklärung und den Rechten der Patient*innen in der Geburtshilfe liegen. Dies ist entscheidend, um eine informierte und selbstbestimmte Geburtserfahrung zu gewährleisten.

Um den Beruf des Hebammenwesens insgesamt attraktiver zu gestalten, sollte das Studium zur Hebamme leichter zugänglich sein und mehr Anreize bieten.

Auch die Rahmenbedingungen in Geburtskliniken müssen dringend verbessert werden. Dies schließt die Bekämpfung von Gewalt in der Geburtshilfe ein, um die Sicherheit und das Wohlbefinden der Gebärenden während der Geburt zu gewährleisten.

Als GJBW stehen wir für die Forderung nach Abschaffung von Fallpauschalen im Bereich der Geburtshilfe, um eine faire Vergütung und bessere Versorgung zu gewährleisten.

Schließlich sollte die kritische Haltung zur Zentralisierung der Geburtshilfe berücksichtigt werden, um sicherzustellen, dass regionale Versorgungsmöglichkeiten und dezentrale Optionen weiterhin verfügbar sind.

Insgesamt sind diese Maßnahmen von entscheidender Bedeutung, um die Qualität der Geburtshilfe zu erhöhen und den Bedürfnissen von Gebärenden, Babys und Hebammen besser gerecht zu werden.