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ME/CFS endlich ernstnehmen!
So, 9.10.22

ME/CFS endlich ernstnehmen!

- Fehlende Anerkennung, Erforschung, Behandlung und soziale Sicherung der Krankheit ME/CFS

DIESER ANTRAG WURDE VON DER LANDESMITGLIEDERVERSAMMLUNG AM 9. OKTOBER 2022 IN KIRCHHEIM UNTER TECK BESCHLOSSEN.

ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) ist eine körperliche Erkrankung, die in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten als neurologisch eingestuft ist. Das wichtigste Merkmal der Krankheit ist die Belastungsintoleranz, welche bei Überschreiten der Belastungsgrenze zu einer massiven Verschlechterung der Symptome führt, die über mehrere Tage andauern oder sich chronifizieren kann. Die Belastungsgrenze ist individuell von der Schwere der Erkrankung abhängig, bei Schwerstbetroffenen kann schon das Umdrehen im Bett oder das Zähneputzen eine Zustandsverschlechterung auslösen. Zusätzlich zu der Belastungsintoleranz leiden ME/CFS-Betroffene an einer schweren Fatigue (körperliche Entkräftung), an kognitiven Einschränkungen (Brain Fog genannt), Schmerzsymptomen, Überempfindlichkeit ggü. Sinnesreizen, Fehlregulation des Kreislaufs und weiteren Symptomen. ME/CFS-Patient*innen sind in ihrer Lebensführung stark eingeschränkt, viele können nur noch in Teilzeit arbeiten und 60 % sind arbeitsunfähig. Zudem sind viele Betroffene bettlägrig und auf Pflege angewiesen.

Obwohl die WHO die Krankheit schon seit 1969 als körperliche Erkrankung eingestuft hat, gibt es in Baden-Württemberg für die 30.000 bis 80.000 Erkrankten derzeit keine Therapie-Maßnahmen oder ärztliche Versorgung, keine Forschung und auch die soziale Absicherung ist nicht gegeben. Die Patient*innenorganisationen beschreiben die aktuelle Situation mit den Worten „Die humanitäre Katastrophe vor unserer Haustür“.

Die Krankheit wird in der medizinischen Ausbildung nicht thematisiert und so bestehen bei vielen Ärzt*innen immer noch falsche Vorstellungen darüber, welche regelmäßig zu Fehldiagnosen und dauerhaft schädigenden Fehlbehandlungen führen. Seit 20 Jahren gibt es klare Diagnosekriterien für ME/CFS (z.B. die Kanadischen Diagnosekriterien), die aber weiterhin oft nicht bekannt sind.

ME/CFS bricht meistens nach Virusinfektionen aus und kann vermutlich jede*n treffen. Beispielsweise entwickelt ein wesentlicher Teil der COVID-Infizierten ME/CFS: rund 10% der Infizierten leiden nach der Infektion an Long-Covid, was sich in Subgruppen unterteilen lässt. Die Gruppe mit dem größten Chronifizierungsrisiko und den stärksten Einschränkungen heißt ME/CFS. Sechs Monate nach der SARS-CoV-2- Infektion sind 50% der bis zu diesem Zeitpunkt weiter erkrankten Long-Covid-Patient*innen von ME/CFS betroffen. Es gibt also dringenden Handlungsbedarf, um die steigende Zahl an ME/CFS-Betroffenen in Baden-Württemberg schnell und adäquat zu behandeln und zu pflegen und möglichst früh zu diagnostizieren und aufzuklären, um sie vor einer Überschreitung der Belastungsgrenze und damit einer Verschlimmerung der Krankheit zu bewahren.

Wir setzen uns für ein Forschungsprogramm zur Krankheit ME/CFS in Baden-Württemberg ein sowie für die Integration des Themas in die ärztliche und Pflege-Ausbildung ein. Des Weiteren bedarf es gezielter Aus- und Fortbildungsangebote für Ärzt*innen, damit wir möglichst schnell eine flächendeckende ärztliche Versorgung der Erkrankten erreichen. Hier muss der Fokus darauf gelegt werden, weitere Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen zu vermeiden.

Ergänzend zur Aufklärung im medizinischen Bereich sehen wir den Bedarf für eine öffentliche Aufklärungskampagne, die sich insbesondere an Institutionen richtet, die mit Betroffenen arbeiten. Schulen, Jugendämter, Rentenversicherungen, sowie Gutachter*innen für Pflegestufen und Behinderungsgrade sollten hier prioritär angesprochen werden. Solch eine Aufklärungskampagne sollte auf Bundesebene geplant und durchgeführt werden. Bei Kindern mit entsprechendem Härtegrad der Krankheit müssen Wege zur individuellen Beschulung ermöglicht werden.

Als GJBW unterstützen wir die Forderung nach einem regelmäßigen Austausch zwischen den relevanten Landesministerien, Expert*innen für ME/CFS, sowie Mitgliedern der Patient*innen-Organisationen. Dadurch können mögliche Maßnahmen besprochen und die Wirksamkeit der eingeführten Maßnahmen evaluiert werden.

Die GJ BW fordert dringend, dass die Krankheit insbesondere in Baden-Württemberg endlich ernst genommen wird und die von den Patient*innen-Organisationen sowie Expert*innen vorgeschlagenen Maßnahmen endlich umgesetzt werden (als Beispiel dient hier der Nationale Aktionsplan für ME/CFS und das Post-COVID-Syndrom).

Mit der Anhörung zu ME/CFS im Sozialausschuss des Landtages von Baden-Württemberg am 20. Juni 2022 ist der erste Schritt getan, auf den nun konkrete Maßnahmen folgen müssen.