Medienbildung für die Zukunft unserer Gesellschaft
DIESER ANTRAG WURDE VON DER LANDESMITGLIEDERVERSAMMLUNG AM 15. MAI 2022 IN MARKELFINGEN BESCHLOSSEN.
Die digitalisierte Welt verändert sich ständig. Diesem stetigen Wandel muss sich auch die Medienbildung in unseren Schulen anpassen. Kinder kommen immer früher im privaten und freizeitlichen Bereich mit (digitalen) Medien in Berührung - sowohl mit ihren Chancen als auch ihren Risiken. Sie sozialisieren sich hier weitgehend selbst, da die Kompetenzvermittlung in diesem Bereich der aktuellen Vielfalt und Komplexität nicht Stand hält. Dabei ist die Orientierung in der digitalen Welt mittlerweile zu einer Schlüsselkompetenz geworden und muss daher angemessen vermittelt werden.
Mediales Handeln gehört längst zum Alltag von Schüler*innen. In Zukunft und so schnell wie möglich braucht es deshalb sowohl eine technische Ausstattung, die den aktuellen Standards genügt und mit künftigen Entwicklungen Schritt hält sowie medienpädagogischen Konzepte, die konsequent in allen Schularten und Klassenstufen Anwendung finden.
Anschluss für alle
Schüler*innen in Baden-Württemberg haben aktuell ungleiche Startbedingungen. Während die einen problemlos jederzeit in einer ruhigen Arbeitsatmosphäre mit funktionierendem Internet ungestört lernen können, haben andere nur sehr eingeschränkt Zugang zu internetfähigen Geräten und vor Ort keine Möglichkeit, mit schnellem Internet zu lernen - und das gegebenenfalls in einer beengtenLernumgebung.
Bereits in der Strategie der Kultusministerkonferenz aus 2016 war das Ziel, dass “möglichst bis 2021 jede Schülerin und jeder Schüler jederzeit, wenn es aus pädagogischer Sicht im Unterrichtsverlauf sinnvoll ist, eine digitale Lernumgebung und einen Zugang zum Internet nutzen können sollte”. Ein Blick in die Schulen Baden-Württembergs zeigt uns, dass dies bei weitem nicht der Fall ist.
Um diese Ungleichheiten anzugehen, muss das Land Baden-Württemberg schnell handeln: es kommt zuerst auf einen flächendeckenden und zügigen Ausbau von Glasfaser und Breitband an. Die Kommunen müssen von Seiten des Landes so schnell und gut wie möglich dabei unterstützt werden. Dabei gilt es, das Stadt-Land-Gefälle auszugleichen.
Nicht nur schnelles und zuverlässiges WLAN muss gegeben sein: alle Schüler*innen sollten sich unkompliziert und unbürokratisch Endgeräte ausleihen können, sollten sie diese benötigen. Das ist ein wichtiger Faktor zur Chancengleichheit. Daher sollte das Land Baden-Württemberg weiterhin die Beschaffung von Endgeräten vor Ort unterstützen, sie aber anhand nachhaltigerer Kriterien ausrichten. Fair produzierte internetfähige Geräte sollten nicht die Ausnahme darstellen, sondern zur Norm werden.
Zudem benötigt es kompetente Personen vor Ort, die technische Geräte warten, Software up to date halten und bei Problemstellungen zur Seite stehen, eine Art “Digitale*r Hausmeister*in”.
Digitale Bildung als Chance - Mit Sicherheit und Kooperation
Daten- und Jugendschutz sind Rechte, die einerseits von den eingesetzten Medien geachtet, andererseits den Schüler*innen vermittelt werden sollten: In allen schulischen Netze sind entsprechende Filter zum Jugendschutz verpflichtend und einheitlich einzurichten, ebenso wie Virenscanner und Firewalls. DSGVO-konforme Tools sollten längst eine Selbstverständlichkeit sein und nicht in der jeweils alleinigen Verantwortung der*des einzelnen Lehrer*in liegen.
Für den Datenschutz braucht es praxisnahe und klare Vorgaben dazu, wie beispielsweise pragmatisch mit Updates von verwendeten Apps umgegangen werden soll.
Zur Schule auf der Höhe der Zeit gehört auch die Kommunikation aller Akteur*innen an einer Schule (Schüler*innen, Eltern, Lehrer*innen) miteinander. Dazu braucht es eine Software für unkomplizierten und direkten Austausch sowie eine digitale Bildungsplattform, bei der alle gesammelten Daten sicher aufbewahrt sind. Ein langfristiges Ziel könnte dabei ein eigenes Hosting von Software sein.
Wichtig für den täglichen Unterricht ist eine Office-Software, die Kooperationen zulässt - beispielsweise Dokumente zu teilen und gemeinsam zu bearbeiten. Auch Elemente wie Stundenpläne, gemeinsame Zeugnisbearbeitung oder Planungstools für Ausflüge sollten integrierbar sein.
Kompetenzvermittlung mit Medienpädagogik
Der Digitalpakt Schule zur Finanzierung der Länder durch den Bund koppelt die technische Ausstattung an die pädagogische Umsetzung dieser: Damit die technischen Voraussetzungen gewinnbringend eingesetzt werden können, braucht es entsprechende pädagogische Angebote und Konzepte. Denn Bildung mit und über Medien ist mehr als das bloße Umwandeln von Unterrichtseinheiten. Es kommt auf den sinnvollen und gezielten Einsatz der Medien an. Dann kann auf die unterschiedlichen Lerntypen der Schüler*innen eingegangen werden. Denn die Digitalisierung bzw. mediale Unterstützung im Unterricht kann dazu genutzt werden, individuell auf die Bedürfnisse der Schüler*innen zu reagieren und die zu vermittelnden Lerninhalte etwa spielerisch einzubringen (Gamification). Auch in der inklusiven Beschulung ergibt sich daraus neues Potential, wenn Aufgabenstellungen individuell ausgerichtet werden können. Zugleich muss die Medienbildung selbst inklusiv sein: bei der Anwendung und Entwicklung muss auf barrierefreie Ausgestaltungsmöglichkeiten geachtet werden.
Zeitgemäßer Unterricht ist an allen Schulformen systematisch und fächerübergreifend in digitale Lernumgebungen eingebettet. Damit einher geht, dass Lehrkräften aller Schularten Konzepte dafür an die Hand gegeben werden und es ein breites sowie verpflichtendes Angebot für Qualifizierung und Weiterbildung gibt. Zusätzlich ist zu prüfen, ob eine medienpädagogische Fachkraft die Arbeit mit Lehrer*innen und Schüler*innen an der Schule unterstützen kann.
Ziel der Medienbildung soll sein, dass die Schüler*innen nicht nur das Bedienen eines Geräts oder einer Software beherrschen, sondern ein tieferes Verständnis dafür bekommen, wie das dahinterstehende System funktioniert. So werden sie zum kritischen Denken angeregt und können die erlernten Kompetenzen auch in Zukunft bei anderen Applikationen anwenden.
Daneben bietet das Lernen mit digitalen Medien die Chance, zur Persönlichkeitsentwicklung beizutragen. Umso wichtiger erscheint es, dass sowohl Entwicklungs- wie auch Kompetenzziele in den Lehrplänen verankert werden und bleiben. Daraus muss jedoch hervorgehen, in welchem Fachbereich das jeweilige Ziel in welcher Klassenstufe erreicht werden soll. Das schafft Verbindlichkeit und Sicherheit für die Lehrer*innen und gibt Orientierung.
Medienbildung als fester Bestandteil an allen Schulen des Landes
Viele Kinder kommen schon früh mit digitalen Medien in Berührung. Um sie hier nicht nur der Selbstsozialisation zu überlassen, sondern sie in ihrer Lebenswelt abzuholen, sollten schon Grundschulen einen Raum zum Erfahrungsaustausch sowie gezielte Projekte zur Medienbildung anbieten und umsetzen. Dabei ist einerseits auf Aspekte wie den Schutz der persönlichen Daten und der Privatsphäre im Internet einzugehen. Zum anderen können Kreativität und Kompetenzen bei der Durchführung eigener Medienproduktionen (Radioshows, Hörspiel- oder Foto-Projekte) nach dem Projektunterricht gefördert werden. So werden mobile Endgeräte spielerisch einbezogen und als Mittel für eigene künstlerische oder ‘journalistische’ Schöpfungen eingesetzt.
Unter Einbeziehung digitaler Medien ergeben sich Möglichkeiten, die Vielfalt unserer Gesellschaft abzubilden und in den Unterricht mit aufzunehmen. Damit kann Sensibilität und Toleranz geschaffen werden. Für die Zukunft unseres Planeten nimmt zudem die Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle ein. Im Bereich der Medienbildung kann dabei sowohl auf die Medienökologie selbst eingegangen werden sowie davon ausgehend das Feld der „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden. Verschiedenste Medienproduktionen nehmen diese Thematiken auf. Im Unterricht sollte bei der Rezeption sowohl auf den Inhalt als auch auf die Darstellungsweise ein Augenmerk gelegt werden. So entwickeln die Schüler*innen ein Verständnis dafür, wie Aufmerksamkeit und Emotionen in den Medien angesprochen werden und bekommen Einblick in verschiedene Lebenswelten.
In der Oberstufe und an Berufsschulen sollte der Lehrplan außerdem um den Aspekt der Finanzbildung erweitert werden. Neben einem Verständnis dafür, wie unsere Art und Weise zu wirtschaften funktioniert, sollte auch darauf eingegangen werden, wie die Schüler*innen selbst mit Hilfe von digitalen Applikationen dieses Wissen in ihrem eigenen Leben anwenden können.
Fake News entlarven - Demokratie lernen und leben
„Die Jugend ist in den Schulen zu freien und verantwortungsfreudigen Bürgern zu erziehen und an der Gestaltung des Schullebens zu beteiligen.“ Dieser Satz findet sich in Artikel 21 Absatz 1 der Landesverfassung Baden-Württembergs. Unsere Demokratie wird in jüngster Zeit immer wieder in Frage gestellt und angegriffen. Die Sicherheit unseres lang erkämpften politischen Systems ist längst nicht mehr selbstverständlich - der Handlungsbedarf ist enorm. Bildung nimmt eine zentrale Schlüsselrolle in der Demokratieerziehung ein.
Um Schüler*innen zu mündigen Bürger*innen zu erziehen, muss die Thematik der Demokratiestärkung vermehrt in den Unterricht einziehen. Aktuelle politische Themen sollten näher gebracht und im Unterricht behandelt werden. Wichtig hierbei ist ein differenzierter Diskurs. Phänomene wie Fake News und populistische Aussagen treten immer häufiger auf und beeinflussen den politischen Ton negativ. Deshalb müssen in der Schule die Grundlagen für ein reflektiertes Politikverständnis gelegt werden. Dazu gehört zum Beispiel, Nachrichten und Informationen kritisch zu hinterfragen. Kinder und Jugendliche müssen wissen, was eine vertrauenswürdige und seriöse Quelle ist und wie sie diese erkennen. Beispielsweise durch eine Stärkung des Fachs Gemeinschaftskunde kann mehr Raum zur Behandlung dieser wichtigen Themen geschaffen werden. Jedoch kann Demokratie nicht nur theoretisch gelehrt, sondern muss auch praktisch gelebt werden. Instrumente wie regelmäßig stattfindende Klassenräte, politische Planspiele oder Debatten fördern die Kompetenz, politische Diskurse zu führen. Gleichzeitig muss auch die Schule ein Ort gelebter Demokratie sein. Das schulische Leben sollte durch Schüler*innen mitgestaltet und mitbestimmt werden. Instanzen wie die SMV (Schüler*innen mit Verantwortung) oder die Schulkonferenz spielen hier eine Schlüsselrolle und vermitteln den Lernenden ein Verständnis von politischer Mitsprache und Mitbestimmung. Orientierung und Inspiration kann hierbei durch Best Practice Beispiele und Modellschulen erfolgen und sollte fest in der Lehrer*innenfortbildung verankert sein.
Hausaufgaben für eine Medienbildung der Zukunft
Unsere Schulen stehen vor einem großen Veränderungsprozess: Um in der digitalisierten Welt Kindern und Jugendlichen ausreichend Orientierung zu bieten braucht es ganzheitliche Ansätze:
Gleichberechtigte technische Ausstattung ist eine Grundvoraussetzung für Chancengerechtigkeit. Kein Kind darf verloren gehen! Der konsequente Ausbau der Ganztagesbetreuung ist dafür eine wichtige unterstützende Maßnahme.
Baden-Württemberg braucht einen umfassenden Fahrplan zur Digitalisierung der Schulen, in dem dargestellt wird, wie die technischen Voraussetzungen in die Schulen gelangen und dort instand gehalten bzw. regelmäßig geupdatet werden.
Im Unterricht müssen digitale Medien zielgerichtet eingesetzt werden. Klar ist dabei aber auch: die Lehrer*innen dürfen nicht alleine gelassen werden! Es braucht ein breites Angebot an Weiterbildungen und verständliche Regelungen, um Medienbildung flächendeckend voranzubringen.
Perspektivisch muss auf eine Besetzung der Klassen durch multiprofessionelle Teams hingearbeitet werden. Mit Fachwissen können so Lehrer*innen und Schüler*innen unterstützt werden, um den Transformationsprozess zu meistern. Priorität sollte bei Schulen mit besonderen Herausforderungen gesetzt werden.