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Interview mit Danyal Bayaz
Mi, 13.10.21

Interview mit Danyal Bayaz

Von Jonathan Ebert und Benjamin Montigel - Es ist schon ein paar Wochen her, dass wir uns mit unserem Finanzminister Danyal Bayaz zum Gespräch verabredeten. Doch die Themen, über die wir gesprochen haben, sind und bleiben aktuell. Herausgekommen ist ein kurzweiliges Interview, in dem wir sowohl Danyal als Person als auch seine politischen Kernthemen besser kennenlernen. So spricht er unter anderem über seinen Wechsel nach Stuttgart, bewertet die finanzpolitischen Programme anderer Parteien und erklärt, wieso das Thema Finanzpolitik gerade für junge Menschen wichtig ist. Und ganz nebenbei stellte sich dann auch noch heraus, dass Danyal früher selbst einmal Redakteur der Zitro war!

Hallo Danyal! Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast. Seit Mai bist du jetzt schon Finanzminister. Wie empfandest du deinen Wechsel von Berlin nach Stuttgart? Welche schönen aber auch herausfordernden Aspekte hat diese Veränderung mit sich gebracht und gibt es Dinge, die du jetzt als Finanzminister vermisst?

Der Wechsel war in mehrerlei Hinsicht eine schöne, aber zugleich auch herausfordernde Zeit. Zum einen der Wechsel vom Abgeordneten in die Exekutive, dann von der Opposition in die Regierung und nicht zuletzt der Ortswechsel von Berlin nach Stuttgart.
Wenn es überhaupt etwas gibt, dass ich vermisse, dann könnte man das als das “internationale Flair” der Bundespolitik bezeichnen. Als Mitglied der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung und Mitglied des Finanzausschusses ist mir deutlich vor Augen geführt worden, dass Finanzpolitik immer eine europäische und globale Perspektive braucht, um erfolgreich zu sein. Diese Tatsache spiegelt sich beispielsweise in der vor kurzem eingeführten globalen Mindeststeuer für Unternehmen (1) wider.
Hier in Stuttgart ist die Aufgabe in gewisser Weise überschaubarer, allerdings nicht weniger relevant oder spannend, im Gegenteil: Hier bemerkt man deutlicher die konkreten Gestaltungsmöglichkeiten und sieht direkte Auswirkungen seiner politischen Entscheidungen. Aus diesen Gründen habe ich mich auch gerne dazu entschlossen, nach Stuttgart zu gehen.

Gerade sprechen Grüne, FDP und SPD über eine mögliche Ampel-Koalition, wobei auch die Gestaltung der Finanzpolitik eine wichtige Rolle spielt. Uns würde daher von dir als Finanzexperten interessieren, wie du die Konzepte der unterschiedlichen Parteien bewertest.

Bei Betrachtung der Einkommensseite ärgere ich mich besonders über die Unseriosität von Union und FDP auf Bundesebene, weil sie viele Versprechungen machen, gleichzeitig jedoch Steuerentlastungen für Besserverdienende (2) vorsehen und die schwarze Null halten wollen. Das ist meinen Augen unseriöse Finanzpolitik. Daher ist mir Ehrlichkeit über die Finanzierbarkeit besonders wichtig und dort sagen wir Grünen: Kleine und mittlere Einkommen sollen entlastet werden und Einkommen ab einer sechsstelligen Summe pro Jahr sollen stärker belastet werden.
Auf der Ausgabenseite ist ebenfalls ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Geld wichtig, denn Geld ist eine begrenzte Ressource und die Plattitüde “Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werde” besitzt im Kern durchaus seine Richtigkeit. Das sage ich nicht, weil ich Schulen gegen Klimaschutz oder ökologische Transformation ausspielen will, allerdings müssen die politischen Schwerpunkte klar benannt sein. Wir Grüne haben hier klar den Fokus auf Klimaschutz, Digitalisierung und auch moderne Verwaltung, was für mich als Finanzminister vor allem in der Steuerbehörde relevant ist. Und in diese Punkte wollen wir gezielt investieren. Genau das habe ich bei der Politik der Großen Koalition vermisst, die sich vor allem auf Klientelpolitik wie Baukindergeld oder Mütterrente beschränkt hat.

Wenn es um die Verteilung von Geldern geht, schwingt auch immer die Frage nach der gerechten Verteilung dieser finanziellen Mittel mit. Auch die Grüne Jugend hat ihre Kampagne zur Bundestagswahl unter dieses Motto gestellt. Wo siehst du einen Beitrag der finanzpolitischen Inhalte des Wahlprogramms der Grünen zu mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft? Welche Fragen sollten dabei besonders adressiert werden?

Eine besondere Frage, die Corona noch deutlicher gemacht hat, ist die Frage nach der Finanzierung unseres Gemeinwesens und die Tilgung der im Zuge der Corona-Krise gemachten Schulden. Diese atemberaubenden Summen waren wirtschaftlich und gesundheitspolitisch absolut notwendig und die Schuldenbremse des Bundes bietet in solchen Ausnahmefällen genügend Spielraum, jedoch ist es notwendig zu klären: Wie können diese Schulden wieder zurückbezahlt werden?
Ein Teil der Antwort ist auch für Grüne nicht immer einfach zu akzeptieren: Wirtschaftswachstum, aber nachhaltig, damit wir die wirtschaftliche Entwicklung vom Ressourcenverbrauch und dem CO2-Abdruck entkoppeln können.
Wachstum allein kann jedoch nicht die Antwort sein, denn damit macht man es sich zu einfach. Vielmehr muss auch eine Antwort auf die Frage gefunden werden, an welchen Stellen diejenigen, die viel haben, (noch) mehr leisten können, um so die Schulden zurückzuzahlen. Das ist auch unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit eine wichtige Frage. Daher ist in Betracht zu ziehen, die Schulden über eine Form von Corona-Ausgleich oder Corona-Soli zurückzuzahlen. Über die genaue Ausgestaltung muss jedoch noch beraten werden und dann entscheiden, was ein geeignetes Instrument ist.

Im Grünen Wahlprogramm steht zum Beispiel die Vermögenssteuer. Ich persönlich bin bei der Vermögenssteuer aus unterschiedlichen Gründen eher skeptisch. Vermögenssteuer heißt ja: Jedes Jahr müssen die Oldtimer in der Garage, die Bilder an der Wand und die Betriebsvermögen bewertet werden. Da kann man gerne mal mit den Kollegen aus der Steuerabteilung sprechen, was das für ein hoher Verwaltungsaufwand ist.

Außerdem besteuern wir mit der Vermögenssteuer Substanz. Nehmen wir z.B. ein Unternehmen, das sich gerade in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation befindet, möglicherweise weil es sich in einer Transformationsphase befindet und eigentlich Geld bräuchte, um zu investieren. Die Vermögenssteuer blendet das aus.

Ich bin deshalb ein großer Anhänger einer reformierten Erbschaftssteuer. Bei der Erbschaftssteuer haben wir im Moment riesige Ausnahmetatbestände. Das ist wirklich ärgerlich. Jedes Jahr gehen hohe Milliardenvermögen von einer auf die nächste Generation, ohne, dass der Staat etwas davon hat. Und mit Staat sind vor allem die Länder gemeint, denn die Erbschaftssteuer ist eine Ländersteuer. Würden wir das Geld beispielsweise in Bildung, ebenfalls Hoheit der Länder, und Klimaschutz investieren, dann würde das Erbe nicht mehr nur einem kleinen Kreis, also der Familie, die vererbt und erbt, sondern der gesamten nächsten Generation zugutekommen.

Und für Reformen gibt es wirklich gute Vorschläge, zum Beispiel einfache Steuersätze die stundungsfähig sind, also nicht mehr auf einmal, sondern über zum Beispiel zehn Jahre abgetragen werden können. So werden keine Arbeitsplätze bedroht. Und wir hätten jedes Jahr mehr Aufkommen durch die Erbschaftssteuer in der Landeskasse.

Ich glaube auch, dass es zumutbar ist sowohl für diejenigen die vererben als auch für diejenigen, die erben. Erbe ist leistungsloses Einkommen und diejenigen, die viel erben, sind sowieso schon privilegiert. Und was mir wichtig ist zu sagen: Es geht nicht nur darum, irgendjemandem etwas wegzunehmen. Die entscheidende Frage ist: Was machen wir mit dem Geld? In einer Aufsteigergesellschaft sind wir es den Leuten schuldig, dass alle beste Bildungschancen bekommen und alle ihre Potentiale voll entfalten können. Da möchte ich gerne hin mit unserer Gesellschaft.

Und deswegen glaube ich, dass eine reformierte Erbschaftssteuer neben der Einkommenssteuerfrage ein zentraler Baustein sein kann, wie wir mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Zusammenhalt erreichen können. Lange Antwort, sorry, aber es war eine schwierige Frage!

Das Thema Finanzpolitik ist bei jungen Menschen nicht unbedingt das beliebteste politische Thema. Wieso ist Finanzpolitik gerade für junge Menschen wichtig?

Das ist eine sehr gute Frage, denn Finanzpolitik wirkt manchmal kompliziert, trocken und technokratisch. Ich finde aber, dass wir das Thema Finanzpolitik als Grüne selbstbewusst besetzen müssen. Ich sehe drei Gründen, wieso das gerade für junge Leute hochrelevant ist.

Erstens, wegen der europäischen Relevanz. Wir sehen gerade, wie sich Volkswirtschaften in der EU auseinanderentwickeln. Europa als ein politisches Projekt ist aber mehr als Geld und ein großer Binnenmarkt, es geht auch um gemeinsame Werte. Genauso wie wir beim Erasmus-Programm, das jungen Leuten Tür und Tor geöffnet hat, müssen wir Finanzpolitik europäisch denken. Wir müssen also schauen, wie wir eine gemeinsame europäische Finanzpolitik erreichen können. Wir sind erste Schritte gegangen in der Corona-Krise, sind aber noch nicht am Ende, Stichwort Bankenunion.

Zweitens, kann man über Finanzpolitik wichtige strategische Zukunftsthemen setzen. Gerade für junge Menschen sind hier wahrscheinlich die Themen Klimaschutz und Digitalisierung maßgeblich. Das Paradoxe bei diesen Themen ist ja, wir investieren heute und bekommen dafür nicht sofort eine politische Rendite. Das dauert, das sind langfristige Projekte. Gerade künftige Generationen haben am ehesten was davon. Und das ist auch ein bisschen das Problem, warum lieber mal kurz ein Förderprogramm mit der Gießkanne verteilt wird. Damit kann schön und schnell geworben werden, “schaut her, was wir schönes machen”. Von den langen Linien wird aber zurückgescheut, weil diejenigen, die dafür vielleicht in der Zukunft die Lorbeeren ernten, andere sind. Wenn man es richtig einsetzt, kann Geld viel Gutes erreichen. Und ich finde, das sind wir den jungen Leuten, die für das Klima auf die Straße gehen und gegangen sind, schuldig.

Und der dritte Punkt - ein Thema, bei dem ich merke, dass es junge Leute beschäftigt, dann aber doch weit weg von ihnen ist - das Thema Altersvorsorge. Aufgrund der demographischen Entwicklung werden wir mit unserem Rentensystem, wie wir es aktuell haben, Probleme bekommen. Wir brauchen daher Debatten, wie wir die gesetzliche Rente stärken können, wie wir Menschen zu mehr privater Vorsorge motivieren können, welche Angebote ein Staat unterbreiten kann. Wir Grüne schlagen im Wahlprogramm zum Beispiel einen öffentlich verwalteten Bürger*innenfonds vor, deren Rendite, anders als bei der Riester-Rente, nicht von hohen Kosten aufgefressen wird.

Zu guter Letzt: Was möchtest du den Mitgliedern der GJBW noch mitgeben?

Zuerst einmal möchte ich sagen - auch als jemand der selbst früher in der Zitro-Redaktion und in der GJBW aktiv war - ihr seid ein toller Zusammenschluss junger Menschen, die für eine nachhaltige, soziale, innovative Gesellschaft kämpfen. Die auch mal gegen den Strich bürsten, auch gegen die Mutterpartei, wenn es mal sein muss. Das ist Teil des Geschäftsmodells und das solltet ihr euch unbedingt beibehalten.
Wenn ich einen Wunsch äußern darf, dann, dass die Kraft und die Potentiale von Märkten noch stärker erkannt und ins politische Programm übersetzt werden. Am Finanzmarkt läuft vieles falsch, diese Einschätzung teile ich. Aber dort stehen zu bleiben und zu sagen, das müssen wir verbieten und hart regulieren, das reicht nicht. Es macht einen Riesenunterschied, ob Investoren in ein Kohlekraftwerk investieren oder in einen Windpark. Und es zeigt, dass Kapital und Märkte gesellschaftliche Ziele erreichen können. Aber nur - und das unterscheidet uns massiv von der FDP - wenn man Geld eine Richtung gibt! Deswegen lasst uns darüber streiten, welches die richtigen Mechanismen und Instrumente sind, um Kapital eine Richtung zu geben, damit dieses auch auf unsere gesellschaftlichen Ziele einzahlt.

Das beste Beispiel für die positive Wirkung der Märkte ist glaube ich so etwas wie Biontech. Mit privatem Kapital wurde in weniger als 12 Monaten ein Impfstoff entwickelt - das ist atemberaubend! Und diese Innovation kommt nicht vom Amt, die kommt nicht aus der Verwaltung. Die kommt von privaten innovativen Unternehmen. Bei Biontech sieht man, dass Geld in der Pandemie gesellschaftliche Probleme lösen konnte. Warum eigentlich nicht auch beim Klimaschutz? Als Finanzminister beschäftigt mich deshalb das Thema Green Finance sehr. Ich würde mir wünschen, wenn wir in Zukunft stärker an solchen Themen zusammenarbeiten können.

Vielen Dank Danyal für das Gespräch!

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Jonathan Ebert
Zitro-Redaktion
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Benjamin Montigel
Zitro-Redaktion