Ist das Cannabis-Verbot verfassungskonform?
Von Clara Schick - In den Koalitionsverhandlungen bahnt sich aktuell eine Abkehr vom geltenden Cannabis-Verbots an. Doch auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive gibt es Bedenken.
Während sich Grüne und FDP bekanntermaßen schon länger für eine Cannabis-Legalisierung stark machen, hat nun auch die SPD in der letzten Wahlperiode entschieden, von der Verbotslinie abzuweichen und zumindest kleine Mengen entkriminalisieren und lediglich zu einer Ordnungswidrigkeit machen zu wollen. Darauf kann sich die neue Koalition also wohl mindestens einigen, ob und wie es darüber hinaus geht, bleibt abzuwarten.
Was genau kleine Mengen sind, ist leider weiterhin sehr unbestimmt und wird überall unterschiedlich ausgelegt. In den Bundesländern variiert die Schwelle zwischen 6 bis 15 Gramm, wird jedoch außer in Berlin auch ins Ermessen der Staatsanwaltschaft gestellt, sodass etwa auch 0,4 Gramm bereits zur Beantragung eines Strafbefehls führen können (1). Diese Begriffsunbestimmtheit muss sich in jedem Fall ändern, hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner Grundsatzentscheidung zum Cannabis-Verbot 1994 gefordert (2). Gerade im Strafrecht muss das Bestimmtheitsgebot aus Art. 20 Abs. 3, 103 Abs. 2 GG beachtet werden, das heißt, Bürger:innen müssen erkennen können, welches Verhalten eine Vorschrift von ihnen erwartet. Da im Strafrecht die Konsequenzen für Fehlverhalten so einschneidend sind, müssen Normen dabei klar erkennbar sein. Dies ist bei dem Begriff „kleine Mengen für den Eigengebrauch“ definitiv nicht der Fall, was sich auch an der Anwendung zeigt. Der Gesetzgeber ist jedoch seit 1994 trotz dieser Entscheidung nicht tätig geworden.
Nächstes Jahr wird mit einer neuen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gerechnet, das diverse Richtervorlagen zum Cannabis-Verbot zu beurteilen hat. Nach Art. 100 Abs. 1 GG kann ein Gericht ein Verfahren aussetzen, wenn es ein Gesetz für verfassungswidrig hält, auf dessen Gültigkeit es im Verfahren ankommt, und Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht einholen. Dies haben bisher das AG Bernau, das AG Münster und das AG Pasewalk getan, weitere könnten sich anschließen. Es ist trotzdem unklar, ob das Bundesverfassungsgericht die Vorlagen für zulässig erklärt. Bereits 2002 hatte das AG Bernau dem Bundesverfassungsgericht die §§ 29 Abs.1 Nr.3, 29a und 31a BtMG vorgelegt. Damals hatte das Bundesverfassungsgericht sich an seine eigene Entscheidung von 1994 gebunden gefühlt und die Vorlage zurückgewiesen, da das AG seiner Auffassung keine Tatsachen vorlegen konnte, die eine abweichende Entscheidung ermöglichten (3). Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass das Bundesverfassungsgericht von seiner Verbotslinie abweicht, da inzwischen das Gesundheitsrisiko durch Cannabis besser abschätzbar ist als noch 1994 oder auch 2004. Internationale Organisationen haben zudem angefangen, Staaten aufzufordern, ihre Einordnung von Cannabis zu überdenken. So hat die UN-Suchtkommission am 2. Dezember 2020 Cannabis von der Liste gefährlicher Drogen gestrichen. Das WHO Expert Drug Committee hat bereits 2018 die Einordnung von Cannabis als Betäubungsmittel kritisiert.
Zudem könnte die unterschiedliche Behandlung von Cannabis und Alkohol oder auch Tabak eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes in Art. 3 Abs. 1 GG darstellen. Inzwischen ist bekannt, dass Cannabis nicht gefährlicher ist als Alkohol, so sind vor allem die psychischen Befunde, also die Verursachung von Psychosen oder Schizophrenie, inzwischen wohl widerlegt (4). Teilweise werden Alkohol und Tabak sogar als gefährlicher eingeschätzt als Cannabis, so etwa in einer britischen Vergleichsstudie (5). Das Bundesverfassungsgericht hat 1994 die Ungleichbehandlung auch damit begründet, dass Alkoholkonsum kulturell nicht zu unterbinden sei, während Cannabis „kulturfremd“ sei. Das AG Pasewalk hält Cannabis inzwischen jedoch für eine Alltagsdroge mit etwa vier Millionen Gelegenheitskonsument:innen (6). Dass Missbrauchsgefahr besteht, rechtfertige noch kein staatliches Verbot, so auch Andreas Müller, Jugendrichter am AG Bernau, der sich seit Jahren für Cannabis-Legalisierung stark macht, im Interview mit der LTO (7).
Es bleibt abzuwarten, ob das Bundesverfassungsgericht sich auf diese Argumente einlässt oder nicht, oder ob der neue Gesetzgeber der Entscheidung womöglich zuvorkommt.
(1) AG Münster, Beschl. v. 12.11.2020, Az.: 50 Cs.260 Js 1073/20-184/20.
(2) BVerfG 90, 145-226.
(3) BVerfG Beschl. v. 29.06.2004, Az. 2 BvL 8/02.
(4) https://www.aerzteblatt.de/archiv/24785.
(5) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4311234/.
(6) AG Pasewalk, Beschl. v.29.06.2021, Az. 307 Ds 159/21.
(7) https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/cannabis-verbot-normenkontrolle-bverfg-amtsgericht-bernau-mueller-legalisierung-entkriminalisierung-befangenheit-droge….