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Pornografie – der nackte Wahnsinn?
Fr, 17.12.21

Pornografie – der nackte Wahnsinn?

Von Erik Mehrle - Man kann im Internet so recht viel finden: Von qualitativ hochwertigem Journalismus, über Memes, bis hin zu abschreckender Wahlwerbung der AfD ist so ziemlich alles dabei. Vor allem findet man aber eines: Sex.
Pornografie macht ein Drittel des gesamten Internets aus und ist in den Top 50 der weltweit am meisten besuchten Websites mehrfach vertreten. (1) Pro Sekunde werden auf der Erde rund 30.000 Pornoclips angesehen. (2) Die Branche ist gigantisch, monopolbelastet und wird zu wenig hinterfragt. Genauso wie die dadurch entstandenen Probleme.
Zeit das zu tun, was viel zu wenig getan wird: darüber zu reden.

1. Flashback 2014
Deutschland ist wieder Weltmeister. Dieses Mal nur in der Kategorie Pornokonsum. Wir haben 12.4% des globalen Anteils zu verzeichnen und liegen damit deutlich über dem europäischen Durchschnitt von rund 7.7%. (2) Pornos sind ein fester Teil der heutigen Gesellschaft geworden. Ein Teil, den es aber nur im Inkognito-Modus des heimischen Browsers zu sehen gibt und selten öffentlich thematisiert wird.
Schlimm? Naja, kommt – wie so oft – darauf an. Dass es immer noch ein Tabuthema ist? Ja, das ist schlimm! – Aber dazu später mehr – Dass Pornografie überhaupt konsumiert wird? Diese Frage ist deutlich schwieriger zu beantworten, als man zu Beginn denken könnte.

2. Probleme über Probleme

Die berühmtesten Vorwürfe gegen den regelmäßigen Pornokonsum sind unter anderem:
• Erektionsstörungen
• Verminderte Beziehungsqualität
• Abstumpfung durch immer neue und härtere Reize
• Verharmlosung von Gewalt – vor allem gegen Frauen
• Sexuelle Aggressionen
• Pornosucht
Pauschal jetzt zu sagen: Ne, das stimmt alles nicht, Pornografie ist der Segen Gottes, wäre definitiv falsch. Jedoch das Gegenteil zu behaupten und Pornos als Grund jeden Übels zu nehmen aber auch. Das Problem bei den aller meisten Studien zu dieser Thematik: Sie liefern kein kausales Ergebnis. Eine schlechte Beziehung könnte zum Beispiel auch zu mehr Pornokonsum führen und nicht umgekehrt. Oder wenn man nie rausgeht, weil man im Bett liegt und Pornos schaut, kann das zwar zur sozialen Isolation führen, die dann wiederrum Auswirkungen auf die Psyche hat, hier ist es aber egal, ob man sich Erwachsenenfilme anschaut oder durch TikToks scrollt. Es gibt sogar Studien, die das Gegenteil mancher Vorwürfe nahelegen. Pornografie kann zum Beispiel zu mehr sexueller Lust und Kreativität in einer Beziehung führen. Ebenso wurde die sexuelle Gewalt nur bei Teilnehmenden beobachtet, die ohnehin schon Tendenzen dazu hatten. Ein psychisch stabiler Mensch wird also nicht urplötzlich zum Vergewaltiger, nur weil sie oder er sich einen Porno anschaut. (3)
Wie schädlich sind Pornos jetzt also?
Naja, es kommt immer auf die Masse, auf das Vorwissen der konsumierenden Person und den individuellen Umgang mit dem Gesehenen an. Pornografie ist ein Massenmedium geworden und bei exzessiver Nutzung definitiv schädlich. Das ist Instagram und Co. jedoch auch.

3. Ted Talk der Eltern

Was man aus allen Studien und Expert*innenmeinungen aber definitiv herauslesen kann: Es fehlt an Aufklärung. Ein Medium, das so groß ist wie Pornografie, darf nicht tabuisiert werden. Vor allem nicht, weil es so ein großes Potential zu negativen Effekten hat.
Der Fokus sollte hier auf jeden Fall den Kindern und Jugendlichen gelten. Wir leben – leider – in einer Gesellschaft, in der wir so wenig wie möglich über Sex reden. Deshalb greifen Jugendliche, die dann doch endlich mal wissen wollen, wie das denn so funktioniert, halt in die unendlichen Tiefen des Internets. Dabei rauskommen kann, dass man Sex mit Gangbangs, und Lust mit Unterdrückung gleichsetzt. Nicht unbedingt die beste Voraussetzung für ein erfülltes und respektvolles Liebesleben. Man wird Jugendliche nicht davon abhalten können, in Kontakt mit Pornografie zu kommen, das ist die Schattenseite des Internets. Man kann sie aber unterstützen, das einordnen zu können, was sie sehen. Was einem immer klar sein muss: Pornografie ist das größere Hollywood. Keiner lernt Autofahren durch Fast & Furious und keiner sollte das Prinzip auf Sex und Pornos übertragen. Faber erklärt die Ausgangslage in seinem Lied „Generation YouPorn“ eigentlich ganz gut: „Du würdest gerne Liebe machen, doch du weißt nicht wie es geht.“ Nur übernehmen aktuell Lucy Cat und Don John die Aufklärungsstunden.

4. „Ich bin 18 oder älter“
Dass an dieser Stelle der Jugendschutz auch komplett versagt, sollte jedem klar sein. Auf PornHub muss man mit einem Klick auf das Feld „Ich bin 18 oder älter – Eingabe“ bestätigen, dass man alt genug ist und das bekommt selbst ein*e Elfjährige*r hin. Das ist übrigens auch das Durchschnittsalter, indem Kinder das erste Mal mit Pornografie in Kontakt treten. (2) Dies soll sich in Zukunft zwar ändern und den ersten Seiten droht eine Sperre in Deutschland, wenn sie nicht eine vernünftige Verifizierung einrichten, gegen die sich die Anbieter schon lange wehren. (4) Konsument*innen wird das nur leider wenig abhalten. Es gibt unzählige Seiten im Internet – wenn man davon eine Handvoll sperrt, weicht man halt auf eine der anderen Tausenden aus. Ein generelles Verbot von Pornoseiten ist auch keine Lösung, der illegale Markt würde danach explodieren. Es ist wie mit Drogen, wenn man es nicht legal bekommen kann, muss der Schwarzmarkt herhalten und ich kenne keinen Dealer, der mich mal nach meinem Ausweis gefragt hat.

5. Was wir aus dem Ganzen mitnehmen können
Die Problematik ist hauptsächlich gesellschaftlichen Ursprungs, dadurch fehlt es an Aufklärung und Jugendschutz. Hier kommt die Politik und vor allem die EU ins Spiel. Seit diese zunehmend die Netzpolitik übernimmt, sollte sie einheitliche Gesetze erlassen, die verhindern, dass man sich nicht mehr mit zwei Klicks von Mamas Handy aus anschauen kann, wie Leute vergewaltigt werden. An der Stelle kann man ja auch mal nebenbei versuchen, die Hürden für Kinderpornografie höher zu setzten. Diese Problematik hier auszuführen, würde allerdings den Rahmen des Artikels sprengen.
Aber auch die Aufklärung muss signifikant ausgebaut werden. Da sollten die Eltern mit peinlichen Gesprächen mitziehen, aber auch der Staat kann hier über die Schulen viel erreichen. Wir müssen schaffen, dass Pornografie kein Thema mehr ist, das öffentlich so dermaßen schambehaftet ist, dass die wenigsten darüber gerne sprechen wollen – nicht einmal mit Vertrauenspersonen. Aktuell bringt uns also immer noch Vin Diesel das Autofahren bei und dann sollte man sich halt nicht wundern, wenn sich die Verkehrsunfälle häufen. Obwohl wir zugegeben auch nicht in den sichersten Autos unterwegs sind, um die Metapher noch mühevoll weiter auszubauen. Die Branche dahinter ist nämlich noch problematischer als der Konsum selbst. Sie ist geprägt von Ausbeuterei, Scham für die Mitarbeitenden und es ist fast unmöglich, da wieder heil rauszukommen. Zu der Ausstiegthematik gibt es hier eine empfehlenswerte Dokumentation von STRG_F.

6. Pay for your porn

Die gesamte Problematik hier ganz aufzurollen ist schwierig bis hin zu unmöglich, da die Branche unglaublich groß und nicht unbedingt gesprächsfreudig ist. Deshalb will ich nur einen Grundsatz mitgeben: Pay for your porn. Man sollte beim Konsumieren immer darauf achten, dass es „Fair Porn“ ist. Hier wird auf sichere Arbeitsbedingungen geachtet, darauf, dass das Wohl der Darsteller*innen berücksichtigt wird und eine faire Bezahlung gesichert ist. Das funktioniert nur nicht, wenn man immer darauf schaut, alles gratis zu bekommen. Ganz nach dem Motto: „You get what you pay for.“ Alternativ kann man auch einfach mal wieder seine Fantasie in Anspruch nehmen. Masturbation ist in der heutigen Zeit mehr zu einem schnellen Ventil zum Stressablassen geworden, als für das, was es eigentlich sein sollte: Eine sinnliche Zeit mit sich selbst, in der man sich ausprobiert, Spaß hat und dabei auch noch Krankheiten vorbeugt.
Und das funktioniert am besten ohne gefälschtes Gestöhne im Hintergrund.

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Erik Mehrle
Zitro-Redaktion