Wieso regiert Geld die Welt?
Von Jonathan Ebert - An Geld kommen wir als Mitglieder unserer Gesellschaft nicht vorbei. Täglich sprechen wir darüber, nehmen es in die Hand oder machen weitere Dinge damit. Geld wird in vielerlei Hinsicht als notwendig betrachtet und doch wissen viele Menschen nur wenig darüber - außer, dass es meistens knapp ist, Wenige viel und Viele wenig davon besitzen und momentan alles teurer wird (1). Doch es lohnt sich da mal genauer hinzuschauen. Wie ist eigentlich unser Geldsystem organisiert? Wie steht das in Verbindung zur Klimakrise und zu unserem Wirtschaftssystem? Und warum müssen wir eher das Geldsystem als das Wirtschaftssystem ändern?
vpi (Abb. 1)
Die COP und das Dilemma mit der EU-Taxonomie
Nicht erst im Zuge der COP26 (2), die im November des letzten Jahres stattgefunden hat, wird uns immer wieder vor Augen geführt: Wir müssen eine treibhausgasneutrale Zukunft erreichen, und das so schnell wie möglich! Wir müssen ein globales Desaster verhindern! Bereits vor der Klimakonferenz steuerte die globale Klimaerwärmung auf deutlich mehr als 1,5 Grad zu, was sich auch mit den Zusagen und Ergebnissen der COP in Glasgow nicht gravierend geändert hat! (3). Unschwer also zu erkennen: Es besteht weiterhin Handlungsbedarf.
Dass dieser Handlungsbedarf vorhanden ist, ist in vielen Bereichen unserer Gesellschaft, offiziell zumindest, Commonsense. Allerdings sind die sich daraus ergebenden Handlungskonsequenzen meist zu zaghaft. Jüngstes Beispiel ist die Diskussion im Rahmen der EU-Taxonomie (4), wonach die Stromerzeugung durch Kernkraft und Erdgas als nachhaltig klassifiziert werden soll. Es ist wichtig, dass die riesigen Summen auf den Finanzmärkten endlich gezielt in eine treibhausgasneutrale Zukunft fließen, womit die EU-Taxonomie eigentlich eine gute Idee ist. Aber: Auch wenn wir vielleicht laut Berechnungen verschiedener Institute noch einige Jahre Stromerzeugung aus diesen Quellen brauchen (5): Nachhaltig ist es trotzdem nicht! (siehe hierzu auch Ricarda (6), die die Absurdität gut veranschaulicht hat). So wird das nichts mit unserer Zukunft!
Die sozial-ökologische Marktwirtschaft
Diese beiden Beispiele, die EU-Taxonomie und die COP, stehen stellvertretend für viele weitere Ereignisse und Vorfälle und verdeutlichen die Bemühungen auch von Führungsverantwortlichen, die Klimaneutralität strukturell anzugehen. In vielerlei Hinsicht ist das per se nicht schlecht gedacht und vielleicht sogar nach bestem Wissen und Gewissen so gestaltet worden, allein die Wirkung ist entweder gar nicht vorhanden oder zu gering.
Anhand dieses Befunds könnte man auf folgende Idee kommen (und zum Glück ist das bereits bei einigen Menschen geschehen): Vielleicht sind gar nicht die Instrumente das Problem, sondern der Raum bzw. das System, innerhalb dessen die Instrumente agieren sollen? Konkreter gefragt: Müssen wir nicht vielleicht doch unser Wirtschaftssystem viel grundlegender ändern, als es momentan viele Menschen in Entscheidungspositionen in Politik und Wirtschaft für nötig halten? Es ist kompliziert.
Ich denke, viele von uns können die derzeitige offizielle Wirtschaftsordnung in Deutschland benennen oder haben zumindest bereits von ihr gehört. Es handelt sich um den Begriff der sozialen Marktwirtschaft. Sie etablierte sich, zumindest als Begriff, nach Ende des zweiten Weltkriegs im Zuge des als Wirtschaftswunder bezeichneten ökonomischen Aufschwungs in der BRD (siehe hierzu „Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen“ (7) von Ulrike Herrmann). Diese soziale Marktwirtschaft wurde nun im Laufe der Zeit und vor allem in jüngerer Vergangenheit mit dem zusätzlichen Adjektiv „ökologisch“ versehen und so zur sozial-ökologischen Marktwirtschaft weiterentwickelt. So soll vermehrt das Augenmerk auf die Klimakrise und die Annehmlichkeiten und Vorzüge der Umwelt gelegt werden, um diese nicht schlicht als gegeben hinzunehmen. Und so verkündet nun das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz unter Leitung von Robert, dass die „sozial-ökologische Marktwirtschaft […] das Konzept für die Transformation hin zur Klimaneutralität“ (8).
Robert Habeck (Abb. 2)
Es ist das Geldsystem!
Aber ist dem wirklich so? Ich erlaube mir mal, dies zumindest in Frage zu stellen und zwar aufgrund der Tatsache, dass diese sozial-ökologische Marktwirtschaft weiterhin kapitalistisch organisiert ist. Was meine ich damit? Auch die sozial-ökologische Marktwirtschaft verlangt weiterhin nach immerwährendem Wachstum, was übrigens im Koalitionsvertrag (9) an vielen Stellen explizit so gewollt ist. So soll beispielsweise explizit „Wohlstand und nachhaltiges Wirtschaftswachstum“ (S. 34) garantiert werden oder zusätzliche „regionale Wachstumsimpulse“ (S.36) geschaffen werden. Und das Problem hierbei ist, dass es oftmals nicht ohne Wachstum geht! Wenn ich beispielsweise als Unternehmen X keinen entsprechenden Plan vorlege, wie und in welchem Umfang ich im nächsten Quartal oder Jahr wachsen werde, wird es für mich sehr schwer werden, ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung zu haben. Um den Fortbestand meines Unternehmens X (und damit auch meiner Lebensgrundlage) zu sichern, benötige ich jedoch weiterhin Geld, um auch die steigende Zinslast meines Unternehmens decken zu können. Weiteres folgt im nächsten Abschnitt. Damit offenbart sich in stilisierter aber trotzdem ganz anschaulicher Weise, dass die Wurzel des Problems nicht unbedingt im Wirtschaftssystem liegt. Vielmehr ist es das Geldsystem, dass für diesen dem Wirtschaftssystem inhärenten Wachstumszwang sorgt.
Der folgende grobe Aufriss illustriert diesen Sachverhalt etwas anschaulicher: Das besagte Unternehmen X hat sich zum Kauf von neuen Rechnern für die Belegschaft einen Kredit bei der Bank Y aufgenommen. Bank Y verlangt einen Zins von 3% jährlich, den das Unternehmen zahlen muss. Aufgrund des Zinseszins-Effektes (10) erhöhen sich die Zinszahlungen jährlich, wodurch Unternehmen X nun wiederum mehr Geld verdienen muss, um diese Zahlungen zu tilgen. Und wo kommt dieses zusätzliche Geld nun her? Entweder durch Einsparung von Kosten (Löhne senken, Menschen entlassen) oder durch Wachstum. Für erneutes Wachstum braucht das Unternehmen allerdings wieder Geld, welches es entweder in ausreichender Menge verdienen muss oder durch erneute Kredite erhalten muss. Damit ergibt sich eine Art Teufelskreis, der nur schwer zu durchbrechen ist.
Aber halt - was ist denn mit dem technologischen Fortschritt? Habe ich den nicht vergessen? Nein, aber bewusst ausgeblendet. Sicherlich haben viele technologische Errungenschaften in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten vielen Menschen auf der Welt große Verbesserungen in ihrem Lebensstandard beschert. Vielen Menschen geht es heute materiell deutlich besser als vor 30, 50 oder 100 Jahren. Doch wenn wir uns mit dem Klima oder der Biodiversität befassen, sehen wir auch den Preis dieser rapiden Verbesserungen und diese Verbesserungen gefährden wiederum den Lebensraum vieler Menschen und Tiere. Und wie ist es mit Wachstum, welches unabhängig vom Ressourcenverbrauch stattfinden kann und was unter anderem auch den Begriff „nachhaltiges Wachstum“ im Koalitionsvertrag meint? Ein im ersten Augenblick durchaus charmant anmutender Gedanke, welchem jedoch zum Beispiel der sogenannte Rebound-Effekt (11) gegenübersteht. Dieser beschreibt das Phänomen, dass sich die gestiegene Effizienz in niedrigeren Preisen und damit einhergehender höherer Nachfrage widerspiegelt. Der Gedanke des ressourcenentkoppelten oder nachhaltigen Wachstums sollte also durchaus kritisch beäugt werden.
Bleibt unermüdlich utopisch!
Diese Feststellung ist wahrscheinlich zuallererst hauptsächlich eines: ernüchternd. Doch wie in vielen Bereichen gilt auch für diesen Sachverhalt: Er wurde von Menschen geschaffen, kann also auch von Menschen verändert werden. Und dass Veränderungswille bei vielen Menschen auch in Entscheidungspositionen erkennbar ist, zeigen die anfangs genannten Beispiele. Allerdings zeigen die daran angeschlossenen Ausführungen auch, dass es noch weitaus größerer Veränderungen bedarf. Und hier sind wir als Teil der Zivilgesellschaft gefragt. Wir sollten weiterhin kämpfen für eine nachhaltige Geld- und Wirtschaftsordnung und nicht nur am bestehenden imperfekten System herumschustern!
Wie aber könnte eine solche Lösung aussehen? Dafür gibt es viele verschiedene Ideen, von nur vereinzelten Reformen bis hin zur kompletten Abschaffung von Geld in der derzeitigen Form. Eine Idee, die eher zur Seite der Reformen gezählt werden kann, nennt sich „Vollgeld“ (12). Der grundlegende Gedanke hierbei ist, dass die Kontrolle über unser Geldsystem wieder stärker bei der (staatlichen) Zentralbank liegen soll, die wieder mehr Kontrolle über Deutsche Bank und Co. ausüben soll. Momentan ist es nämlich so, dass diese privaten Banken wie Deutsche Bank oder Commerzbank weitestgehend über Kredithöhe und -menge Höhe und Menge frei entscheiden können und in vielen Fällen nach der höchsten Gewinnmöglichkeit Ausschau halten. Somit können sie am meisten Wachstum erzielen. Damit sind wir wieder am Kernproblem von Geld und Wachstum angelangt.
Es gibt also keinen Grund zu verzagen, denn es gibt Auswege aus diesem Teufelskreis. Dies muss jedoch immer wieder betont werden und dabei darf und soll auch der Utopie keine Grenze gesetzt werden. Darum gilt: Bleibt unermüdlich utopisch und natürlich stachelig!
(4) https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_22_2
(5) https://taz.de/Energiewende-und-Erdgas/!5824837/
(6) https://twitter.com/Ricarda_Lang/status/1477297987600764930?cxt=HHwWhMC-paqstYApAAAA
(7) https://www.westendverlag.de/buch/deutschland-ein-wirtschaftsmaerchen/
(8) https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/soziale-marktwirtschaft.html
(10) https://www.financescout24.de/wissen/ratgeber/zinseszins
Abb. 1 Verbraucherpreisindex:
https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Preise/Verbraucherpreisindex/_inhalt.html
Abb. 2 Robert Habeck:
https://cms.gruene.de/uploads/images/2021_2-Robert-Habeck_Presse_Urban-Zintel.jpg